TEXT: ANDREJ KLAHN
Sogar Polizei war vor der Historischen Stadthalle an diesem 3. Mai zugegen. Obwohl Demonstrationszüge und Aufmärsche heute ja eher eine Seltenheit sind, wenn es um die Aufarbeitung der jüngeren deutschen Vergangenheit geht. Doch man weiß ja nie. Die »Bild am Sonntag« zumindest war im letzten Herbst ob des Falles Eduard von der Heydt in Skandallaune: »Der Preis des Nazis« war dort im November vergangenen Jahres eine Geschichte über den 1982 in Elberfeld geborenen Bankier übertitelt, nach dem der alle zwei Jahre verliehene, mit 12.500 Euro dotierte Kulturpreis der Stadt seit 1957 benannt ist. Neuere Forschungen würden beweisen, dass der Mäzen, der der Stadt 1952 neben Wertpapieren auch Teile seiner beachtlichen Kunstsammlung gestiftet hat, »ein überzeugter Nationalsozialist, bekennender Antisemit und den Mächten des Dritten Reichs gern zu Diensten« gewesen sei. Im Januar 2006 hatte bereits die in Wuppertal ansässige Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft öffentlich gefordert, den Preis statt nach dem vermeintlich belasteten von der Heydt nach der von den Nazis verfolgten Lyrikerin zu benennen. Preisträger schlossen sich diesem Aufruf an. Gut ein Jahr später setzte die Stadt die Verleihung des Preises bis zu Klärung der Vorwürfe aus und eine Kommission unter der Leitung Michael Knieriems, dem Direktor des kommunalen Historischen Zentrums, ein, um die Archive auf den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe hin zu befragen.
Zur Präsentation der Ergebnisse fanden sich am besagten 3. Mai rund 250 Interessierte im Mendelssohn-Saal der Historischen Stadthalle ein, der überwiegende Teil verharrte dort bis zum Ende der Diskussion, mehr als drei Stunden lang. Und während die Polizei vor der Halle einen ruhigen Abend verlebte, wurde die Auseinandersetzung über das von der Kommission zutage Geförderte drinnen vor allem seitens der Umbenennungsbefürworter überaus erregt geführt. Doch saßen die nicht auf dem Podium, sondern inmitten des überwiegend älteren Publikums, das die entlastenden Ausführungen der Forscher dem Applaus nach zu urteilen mehrheitlich wohlwollend zur Kenntnis nahm.
Knieriems einleitendes Referat über den vermeintlichen Antisemitismus von der Heydts schloss mit der Behauptung, dass der Vorwurf des Antisemitismus und der Täterschaft für den Nationalsozialismus vor dem Hintergrund der Quellenlage nur um den Preis der Tatsachenleugnung aufrecht erhalten werden könne. Eduard von der Heydt sei ein Mann von »zurückhaltender Soziabilität und geringer individueller Empathie« gewesen, kontinuierlich geleitet von allein zwei Interessen: dem Geld- und dem Kunsterwerb. Ein Mann, der zunächst wie viele seiner nationalkonservativen Gesinnungsgenossen dem Irrglauben aufsaß, Hitler in eine bürgerliche Regierung einbinden zu können. Für die Zeit nach seinem Eintritt in die NSDAP im April 1933 bis 1935/36 weist ihn die Studie als »gering belastete(n) Mitläufer ohne eine tatsächliche innere politisch-ideologische Identifikation mit den Zielen der NSDAP« aus. Entkräftet scheint sowohl die Behauptung, von der Heydt sei schon viel früher der Partei beigetreten, genauso wie der Vorwurf, er habe als Kunst-Agent und Zulieferer Görings fungiert, mit dem er nach eigenen Aussagen »gewisse Beziehungen« unterhielt, um im Falle von Problemen mit der Partei oder der Gestapo bei ihm Schutz suchen zu können.
Gestützt wird diese Lesart des umfangreichen Materials auch durch die Tatsache, dass von der Heydt wiederholt mit der Partei in Konflikt geraten war. So wurde der Bankier im August 1936 mit einer Verwarnung und einem einjährigen Ausschluss von allen Funktionen belegt, nachdem man ihn wegen seiner Kontakte zu Juden denunziert hatte. 1939 erwirkte von der Heydt dann per Parteigerichtsbeschluss den freiwilligen Austritt aus der NSDAP und kam so dem Ausschluss wegen seiner 1937 erfolgten Annahme der Schweizer Staatsbürgerschaft zuvor.
Schenkt man den Ausführungen der Forscher Glauben, dann ließ von der Heydt sich weder beim Beitritt noch beim Austritt aus der Partei von einer inneren Überzeugung leiten. Großbürgerlich sozialisiert, legt Eduard von der Heydt während der 30er und 40er Jahre ein Verhalten an den Tag, das sich mit Eberhard Illner als »frei konvertierbare Währung« beschreiben lässt. Von der Heydts Umgang mit den politischen Erfordernissen seiner Zeit war in hohem Maß pragmatisch. Auf der einen Seite betrieb er um des Schutzes von Person und Vermögen willen eine politische Öffnung nach rechts, die das Gutachten auf »kleinerem Niveau« verortet, was ihn andererseits nicht davon abhielt, mit Angehörigen des linksliberalen und katholischen Spektrums bisweilen freundschaftliche Kontakte zu pflegen.
Gleichwohl finden sich in den Briefen von der Heydts antisemitische Ausfälle. Von 1925 datiert eine Invektive gegen die »Berliner Juden, welche mit den ihnen zur Verfügung stehenden Geldmitteln die Wirtschaft terrorisieren und die öffentliche Meinung korrumpieren«. Knieriems wiederholter Hinweis, derartige Äußerungen von der Heydts seien ausschließlich in den Briefen erhalten, die »oft nur eine spontane Stimmungslage widerspiegeln«, vermag als Entlastung genauso wenig zu überzeugen wie die psychologisierende Erklärung des Gutachtens, diese Entgleisung sei eine Kompensationshandlung für persönliche Kränkungen. Die Tatsache jedoch, dass von der Heydt jüdische Freunde und Bekannte wiederholt unterstützte, lässt die Behauptung, er sei ein »bekennender Antisemit« gewesen, zweifelhaft erscheinen.
Ungleich belastender als derartige Äußerungen hingegen sind die Geldtransfers, die über von der Heydts Bank und persönliche Konten an die deutsche Abwehr ausgeführt worden sind. Zwischen Mai 1939 und April 1940 führt von der Heydts Bank 79 Überweisungen für die August Thyssen Bank Berlin aus, nachdem ihm der Thyba-Direktor, ein langjähriger Vertrauter, zugesichert hatte, dass ihm aus diesen Zahlungen keine Schwierigkeiten entstünden. Im September 1939 eröffnete dieser Vertraute von der Heydt dann, dass es sich bei diesen Überweisungen zumindest teilweise um Agentenzahlungen handelte. In den Jahren 1940 bis 1943 liefen die Gelder in erheblicherem Umfang dann direkt über von der Heydts persönliche Konten bei der Schweizerischen Bankgesellschaft in Locarno, insgesamt 1,4 Millionen Franken, davon eine Million Sfrs. Agentenzahlungen.
Von der Heydts spätere Rechtfertigung, er habe keine näheren Kenntnisse von der Funktion der Abwehr gehabt, hält die Expertise für unglaubwürdig. Der Untersuchungsrichter des mit Freispruch mangels Beweises des Vorsatzes endenden Strafverfahrens gegen von der Heydt stellte dazu fest: »Wenn auch von der Heydt nicht nachgewiesen werden kann, dass er die einzelnen Empfänger der Gelder kannte & von jedem einzelnen wusste, in welcher Weise er als Agent beschäftigt war, so musste er doch annehmen, dass die Agenten für die Abwehr in Berlin tätig & Glieder einer Spionage- oder Nachrichtenorganisation waren.« Heute kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass von der Heydt sehr wohl bekannt gewesen ist, welchen Zweck die Geldtransfers hatten.
Von der Heydt, daran lässt die Studie keinen Zweifel, war so antisemitisch und nationalsozialistisch gesinnt wie viele andere Deutsche in den 30er und 40er Jahren auch. Er war ein Mann mit, wie es in der Urteilsbegründung von 1948 heißt, »weichem, ängstlichen Charakter«. Das wird man ihm weder vorwerfen, noch zugute halten wollen. Nur dass die meisten anderen Mitläufer weniger Vermögen und insofern auch weniger Gelegenheit hatten, sich über ihre Gesinnung hinaus etwas zu Schulden haben kommen zu lassen.
Was aber folgt daraus nun für die Umbenennungsdiskussion? Die Wuppertaler Kulturdezernentin Marlis Drevermann, die die Studie Anfang des Jahres in Auftrag gegeben hatte, gibt zu bedenken, dass es nicht an uns sei, uns »über einen Menschen zu erheben, der in einer extremen politischen Zeit versucht hat, sich zu arrangieren, sondern vielleicht inne zu halten und uns selbst zu fragen, sind wir selber couragiert und mutig?« Da von der Heydt dem Gutachten zufolge kein Täter sei, werde sich die Stadtgesellschaft »nicht mit seinen Taten, sondern mit dem Menschen und Sammler befassen.« Für Frau Drevermann bleibt nun noch die Frage zu klären, ob das Mäzenatentum von der Heydts ausreiche, damit ein Kulturpreis seinen Namen trägt. Diese Frage darf man wohl eine rhetorische nennen. Vielleicht sollte die Stadt, bevor sie sich wieder dem Kunstsammler von der Heydt zuwendet, dennoch eine andere, weitaus dringlichere diskutieren: Ist es wirklich befriedigend, wenn einem Ehrenbürger und Kulturpreis-Namensgeber folgender Satz zur Entlastung gereicht: »Handlungsleitend waren für ihn seine Vermögensinteressen, vor allem aber der Schutz seiner Kunstsammlung«. Bei der Gelegenheit ließe sich dann ja auch klären, ob sich nicht doch Gründe dafür finden lassen, das Verhalten eines Ehrenbürgers an höheren moralischen Standards zu messen.