TEXT ANDREAS WILINK
Ich kannte zuvor nur eine Schauspielerin, die sich auf ganz eigene Weise eine Zigarette anzündete und so an ihr zog, dass das intensive Inhalieren sie gleichzeitig abschätzig, zynisch, sensibel und fragil erscheinen ließ. Romy Schneider, die diese gleichsam französische Methode zur Vollendung gebracht hatte, war die einzige, bis ich vor zehn Jahren Constanze Becker als Klytämnestra auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin sah: eine fast ruppige und höhnende, im Innern tief versehrte Feministin avant la lettre.
»Befreit von allen Moden, Manierismen und Effekten« zu sein, bescheinigte ihr der »Orestie«-Regisseur Thalheimer, der sie als Klytämnestra besetzt hatte, als die sie sich einen Kanister Blut über den Kopf kippt und nach dem Blutbad, kühl bis ans Herz, eine Dose Bier öffnet, ein Schnitzelbrötchen isst, sich die Zigarette ansteckt – und mit dieser Geste die Welt in Brand setzt. Thalheimer auch hat sie als womöglich einzige Heroin unserer Tage bezeichnet. Becker fremdelt mit der Zuschreibung. Richtig ist, dass sie, auch wenn sie im Gegenwärtigen spielt, einen Erfahrungsraum zu anderen Zeiten erschließt: nach hinten offen ins mythisch Urzeitliche hinein, so dass Psychologie und andere Wissenschaft der aufgeklärten Epoche keine Kategorien sind.
Es ist, als habe Constanze Becker die Lizenz zum Unglücklich-Sein. Aber diesen Passierschein in Regionen jenseits des Alltags, in das Land der Tragödie hält sie nicht schamhaft unter der Hand, sondern nimmt die Aufenthaltserlaubnis als Sonderheit und dabei doch ganz salopp.
Die gepriesene Tragödin Becker – Klytämnestra, Medea, Penthesilea, Mutter John, Brunhilde – hat eine Vorgeschichte. Oder mehrere (…)
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Ruhrfestspiele: »Evening an the Talk House«, 8. bis 10. Mai 2017