Muss der Staat Theater, Museen und Bibliotheken eigentlich bauen und bezahlen, ja sogar vor der Pleite retten, wenn sie wie derzeit schließen müssen und dadurch selbst keinen Cent mehr einnehmen? Die Rechtslage ist kompliziert, denn unsere Verfassung regelt Fragen der Kultur nur am Rande: Der Begriff selbst kommt im Gesetzestext bloß ein einziges Mal vor. Im recht unscheinbar wirkenden Artikel 30 heißt es: »Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt.« Kultur ist also Ländersache. Ihnen obliegt die verfassungsrechtliche Hoheit, wie für Schulen oder die Polizei. Deshalb ist »die Kultur« auch fast überall Teil der jeweiligen Landesverfassung (außer in Hamburg), jedoch in sehr unterschiedlicher Ausprägung. Am weitesten gehen Sachsen und Sachsen-Anhalt: Dort ist explizit auch der »Unterhalt« von Museen, Theatern und Bibliotheken durch den Staat festgeschrieben – aber auch nur als Grundsatz. Was aus ihm konkret folgt, steht nirgends: Vielleicht ja ein Dreispartentheater pro Stadt oder Kreis? Oder zwölf neue Bücher jährlich pro Einwohner im Einzugsgebiet einer Bibliothek – damit es für jede* n monatlich frischen Lesestoff gibt?
Keine konkrete Summen oder Quoten
Man sieht schnell: Die Tücke liegt hier nicht bloß im Detail, und auch deshalb gehört »die Kultur» in den Gemeindeordnungen der Bundesländer nicht zu den sogenannten Pflichtaufgaben von Kommunen. In denen findet das kulturelle Leben der Republik ganz überwiegend statt und wird auch der größte Teil der Kulturausgaben in Deutschland getätigt. Ihre Kulturförderung ist verwaltungs- und haushaltsrechtlich aber seit je eine »freiwillige« Aufgabe. Wenn Kultur »pflichtig« würde – wie sähen die Regeln dafür aus? Selbst im – bundesweit einmaligen – Kulturfördergesetz für NRW stehen daher auch keine konkreten Summen, Quoten oder Ähnliches.
Das ändert aber nichts am grundsätzlichen Auftrag des Staates. In NRW steht er in Artikel 18 der Landesverfassung: »Kultur, Kunst und Wissenschaft sind durch Land und Gemeinden zu pflegen und zu fördern.« In der Gemeindeordnung heißt es darüber hinaus: »Die Gemeinden schaffen innerhalb der Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Betreuung ihrer Einwohner erforderlichen öffentlichen Einrichtungen.« Was das Wörtchen erforderlich genau bedeutet, wird so zum Gegenstand der Aushandlungsprozesse jeder Stadtgesellschaft.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat in mehreren Urteilen die kulturelle Infrastruktur des Landes zu einem Teil der »Allgemeinen Daseinsvorsorge« des Staates für seine Bürger*innen erklärt. Der Vorsitzende des Kulturrates NRW, der frühere Bundesinnenminister und Verfassungsrechtler Gerhart Baum, wird seit Jahrzehnten nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen. Nicht ganz zufällig ist er es nun auch, der die Regierenden in Düsseldorf wie in Berlin massiv zu finanziellen Hilfen für staatliche wie freie Kultureinrichtungen und auch für die Hunderttausenden von Künstler*innen ohne Festanstellung und Tarifgehälter drängt.
Finanzielle Unterstützung für die Kulturszene
NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen hat nach dem Shutdown – so wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters für den Bund – die Szene nicht nur der üblichen Sonntagsreden-Solidarität versichert, sondern auch finanzielle Unterstützung zugesagt. Gegenüber kultur.west erklärte Pfeiffer-Poensgen kurz vor Redaktionsschluss, dass ihr eigenes Haus mit dem Landesfinanzministerium unter Hochdruck an der konkreten Umsetzung arbeite. Wenig später beschloss die Landesregierung Soforthilfen (zum aktuellen Stand der Entwicklungen lesen Sie hier).
Es gibt in Deutschland kein Gesetz, das regeln würde, was genau »der Kultur« in zusteht, weder im Alltag noch in der Krise. Aber es gibt einen Auftrag der Verfassung, sie zu schützen, zu fördern und zu pflegen. Das allein muss im demokratischen Rechtsstaat reichen, um entsprechend zu handeln!