Sie sitzen auf der hinteren Bühne und müssen gleich richtig arbeiten. Andreas Fellner dirigiert die Musiker Erik Alvarez, Michael Preiser, Konrad Philipp und Günther Schaffer, die vor einem blau leuchtenden Rechteck platziert sind. Ordentlich stürmen und brausen muss es im Vorspiel. Wo sonst der gesamte Streicherapparat schwellend tremoliert und die Cellogruppe auf- und abhetzt bis die Blechbläser hereintosen, gibt es nun nur schwere Tastenarbeit und ein einsames Cello. Da wirkt es fast erlösend, wenn die Pauken endlich donnern.
Weltpolitik am Esstisch
Auf der Vorderbühne erhebt sich mittig die Weltesche (Ausstattung: Udo Hesse). Sie wird später von Wotan in Walhall zum Heizen verfeuert werden. Hier ist sie schon nur noch Wurzelstumpf, der als Fuß für eine massive Tischplatte herhalten muss. In ihrer Mitte steckt Nothung, das Schwert. Der Esstisch als Zentrum des Ehelebens von Sieglinde und Hunding. In seiner kühlen Gestaltung könnte es aber auch ein Konferenzraum im Zentrum der weltpolitischen Macht sein.
Das kurze Vorspiel ist die größte Klippe für das kleine Ensemble. Im Weiteren kommt der erste Akt der Walküre auch bei Wagner instrumental sehr zurückgenommen daher. Es ist ein kleines, enges Beziehungsdrama zwischen Siegmund, Sieglinde und Hunding, das sich nur an ganz seltenen Stellen dramatisch aufbäumt. Das Solo-Cello übernimmt auch im Original eine tragende Rolle, daran ändert sich hier nichts. Die zwei Klaviere steuern vor allem das Geflecht der Leitmotive bei, die einen durchgehenden Subtext zur sichtbaren Handlung liefern. Und doch: Der Klang des Flügels steht den Wagner’schen Sound-Texturen so sehr entgegen, dass mehr als der notgeborene Klang eines Klavierauszuges nicht drin ist.
Psychologie und Wälsungenblut
Die Reduktion hat allerdings auch einen entscheidenden Vorzug: Sie gibt den Sänger*innen sehr viel Raum. Entbunden von dem Zwang gegen ein großes Orchester anzusingen, können sie sich viel umfassender der psychologischen Ausgestaltung der Partien widmen. Während Markus Petschs Siegmund in den großen Namens- und Herkunftserzählungen noch auf Heldentenor setzt, geht Dorothea Herbert ihre Sieglinde mit lyrischen Einfachheit an. Ganz unaufgeregt ist sie die einsame Ehefrau in einer unglücklichen Beziehung. Der fremde Gast? Nur jemand, um den es sich erst einmal zu kümmern gilt. Auch ihr Umgang mit Hunding hat eine überzeugende Normalität. Jahrelang eingeübtes Klarkommen mit einer Lebenssituation, die sich nicht zu ändern scheint.
Viel Raum, um zum Ende hin, wenn die Identität Siegmunds klarer wird und der Ausweg sichtbar, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft strahlen zu lassen. Am stärksten nutzt Matthias Wippich als Hunding die Möglichkeiten. Hochdifferenziert legt er die Psychologie der Rolle offen. Lässt jede kleine Ahnung, jeden Zweifel klingen, findet auch in der offensichtlichen Machtdemonstration als Hausherr noch Zwischentöne.
Wagners »Ring« erscheint durch seine schiere Ausdehnung zunächst als monumentales Welttheater. Bei genauem Blick fasziniert aber die dramaturgische Brillanz dieses Kosmos im Detail. So legte Michael Schulz vergangenes Jahr die urkomische Komödie der Eitelkeiten zwischen den Göttern in seiner »Rheingold«-Deutung in Gelsenkirchen offen. Die Konzentration auf den ersten Walküren-Akt in Krefeld zeigt nun eindrucksvoll die enorme Dichte dieses Miniatur-Dramas. Regisseur Ulrich Proschka nimmt sich dabei sehr zurück, nutzt die Reduktion für die genau Setzung von Blicken und Gesten. Das birgt jedoch die Gefahr des Zuviel.
So ist es überflüssig, wenn Hunding die Hand gegen Sieglinde erhebt und im letzten Augenblick zu einem Streicheln der Haare umdeutet. So deutlich müsste es nicht werden. Die Stimmen (mit sehr guter Textverständlichkeit) erzählen genug. Bei allem stabreimenden Mythosgeraune sind Wagners Texte doch feine psychologische Studien und die Personen jenseits von Wälsungenblut ganz einfach Menschen. Umgekehrt schwingt selbst im kleinen Beziehungsdrama die drohende Weltkatastrophe immer mit. Das erlebbar zu machen, ist in Krefeld gelungen.
9. Oktober, 3., 11., 15. und 21. November, Theater Krefeld, www.theater-kr-mg.de