TEXT: ANDREAS WILINK
Ein Engländer stellt in Arezzo sein prämiertes Buch vor, einen kunstgeschichtlichen Essay, in dem er die These aufstellt, dass die Kopie eines Gemäldes dem Original in nichts nachstehe. Er umspielt die Begriffe von echt und falsch, Authentizität und Nachahmung. Und was für die Kunst gilt, trifft vielleicht auch auf uns Menschenkinder im Zeitalter der technischen wie emotionalen Reproduzierbarkeit zu. Jasper Johns und Andy Warhol werden zitiert, aber auch die römische Antike, die Kunstwerke schon »griechisch« erscheinen lassen wollte. Der Autor James Miller (William Shimell) trifft sich tags darauf mit einer jungen namenlosen Französin (Juliette Binoche), einer in Italien lebenden Antiquitätenhändlerin und Kunstkennerin, die ihm während des Vortrags einen Zettel mit ihrer Telefonnummer hat zukommen lassen und die dann mit ihrem halbwüchsigen Sohn den Saal verließ, um den bockigen Burschen mit Pommes, Cheeseburger und Cola abzufüttern. Der Mann und die Frau fahren mit dem Auto »vorsätzlich ziellos« durch die zu Tode fotografierte und x-fach reproduzierte toskanische Landschaft und spazieren durch das malerische, wenngleich kulissenhaft wirkende San Gimignano (echt oder falsch?), in dem sich Hochzeitspaare vor dem Goldenen Glücksbaum ablichten lassen und in Imitatio des Urpaares Adam und Eva treten.
Wir sind irritiert. Was verbindet die Zwei? Eine Zufallsbekanntschaft. Dafür begegnen sie sich zu vertraut, verbohren sich in Persönliches und pflegen eine Selbstverständlichkeit im Umgang, wechselnd zwischen Englisch, Französisch und Italienisch. Spielen sie sich und uns etwas vor? In einer Kaffeebar hält die Signora sie für verheiratet, was »Sie« mit intimen Bekenntnissen einer vernachlässigten Ehefrau beantwortet. Mister Miller (ein Allerweltsname, den man sich zulegt, um die wahre Identität zu verbergen) erfüllt die Rolle des Mannes, so wie »Sie« die der Frau. Er: unnahbar, überlegt, nüchtern, logisch und kaum aus der Reserve zu locken. Sie: gefühlsorientiert, sentimental, kokett, unsicher, zärtlich und leicht zu verletzen. Sie will Schutz, Dauer, Nähe.
Der Mann und die Frau nehmen ein Zimmer in einer Pension, das in ihr Erinnerungen aufruft? Dann verlässt die Kamera von Luca Bigazzi, die kaum je über Augenhöhe hinaus schwingt und nur wenig Raum gibt, das Paar. Abbas Kiarostamis raffinierte, vertrackt einfache Reflexion über das Mögliche und Wirkliche, über Täuschung, Selbst-Täuschung und Enttäuschung, Wunsch und Wahn, die Liebe und ihre »Fälscher« ist selbst der Essay, den »Copie conforme« (Originaltitel) Mister Miller zuschreibt. Beim Zuschauen schreiben wir an einem weiteren Kapitel mit.
»Die Liebesfälscher – Copie confome«; Regie: Abbas Kiarostami; Darsteller: Juliette Binoche, William Shimell; Frankreich/Italien 2010; 106 Min.; Start: 13. Okt. 2011.