Ganz schön diffizil, so ein Vereinslied. Das erfuhr auch Patrick Lück im Sommer 2023: Der 1.FC Köln war kurz vor Saisonbeginn zum Testspiel vor knapp 50.000 Menschen in Müngersdorf gegen den französischen Erstligisten FC Nantes angetreten. Ehe es losging, dröhnte wie immer die von der kölschen Mundartband Höhner getextete Vereinshymne »Mer stonn zo dir, FC Kölle« durch die Lautsprecher. Die Fans hielten dazu auch wie immer ihre Schals in die Höhe und sangen inbrünstig mit. Doch etwas war anders. Unter die Hymne mischte sich Gemurmel – das in den Tagen danach zu einem Shitstorm in den Medien anschwoll. Warum? Die Hymne war verändert worden! Mit anderen Instrumenten. Kurzum: Sie klang anders als in den 20 Jahren zuvor. Und so etwas, merkte der Sänger der Höhner, ist eben ein No Go. Indiskutabel. Entsprechend unausweichlich war die Konsequenz: Zum ersten Heimspiel der Saison wenige Wochen später war der Normalzustand wieder hergestellt. Die Hymne wieder die alte.
Und es stellte sich heraus: Der Verein war schuld gewesen. Dessen Verantwortlichen hatten, laut Lück ohne Absprache mit der Band, wohl einfach eine kurz zuvor eigens und ausschließlich für die Feier des Vereinsjubiläums in der Lanxess-Arena eingespielte Alternativ-Variante des Liedes abgespielt. Eine schöne Anekdote, eigentlich. Doch: »Das hat mir gezeigt, dass man mit der Hymne für einen Fußballverein vorsichtig sein muss. Es gibt Dinge, an die sollte man ohne die Fans nicht herangehen. Sonst wird’s heikel.«
Denn Hymnen sind ja letztlich nichts anderes als der Ausdruck von tiefer Verbundenheit. Das macht sie zu etwas maximal Emotionalem. Hymnen sind nicht nur ein Stück Musik – sie gehören zum Kulturgut eines Clubs und all derer, die mit dem Club verbandelt sind: Fans, Stadt, Region. In Köln sowieso. Schließlich ist den Menschen, die es mit dieser Metropole am Rhein halten, die durch Musik zum Ausdruck gebrachte Heimatliebe quasi in die DNA eingebrannt. Der Karneval lässt grüßen. Eine Hymne für den ersten Fußballclub hat in Köln folglich einen Stellenwert, der knapp unter dem des Doms liegt.
Perlen der Songkunst
Wobei es natürlich auch in anderen klassischen Fußballstädten des Landes Hymnen gibt, die auf ihre Weise Perlen der Songkunst und Ausdruck einer eigenen, lokalen Identität sind. Nein: Borussia Dortmunds »You’ll never walk alone« gehört nicht dazu. Gesungen von 80.000 und der »gelben Wand« auf der Südtribüne des Westfalenstadions verursacht dieses Lied zwar jedes Mal definitiv Gänsehaut. Aber ebenso definitiv ist es als Hymne nur geklaut – in Liverpool. Sprich: Das ist nichts Eigenes. Im Gegensatz zu Herbert Grönemeyers Klassiker »Bochum« etwa, der nur ein paar Kilometer entfernt jedes Spiel im Stadion an der Castroper Straße einleitet mit der Prognose: »Du machst mit deinem Doppelpass jeden Gegner nass – Du und dein VfL.«
Oder in Leverkusen, wo Countrymusiker Maverick und seine Band für die Hymne der örtlichen Werkself verantwortlich zeichnen und einen Song zwischen Johnny-Cash-Vibes und Bayer-04-Eloge geschrieben haben. Zustande gekommen ist er um 2010 herum, als die aktive Fanszene des Clubs, die Ultras, mit viel Einsatz und zahlreichen Aktionen den geplanten Abriss des Bayer-Kreuzes als Wahrzeichen der Stadt und ihres identitätsstiftenden Chemiekonzerns verhindert hatten. Maverick, bürgerlich Dirk Gläsner, hatte sich an den Protesten beteiligt und den Song zur Sache beigesteuert. »Dann habe ich einige der Fanvertreter einfach gefragt, ob sie nicht auch Lust auf eine Vereinshymne hätten.« Seitdem wird vor jedem Spiel »Mit dem Kreuz auf der Brust« gespielt, in dem es heißt: »Zwischen Bayerwerk und Wasserturm, zwischen Wupper, Dhünn und Rhein, da schlägt unser Herz für unseren Verein.« Jahrelang hatte Maverick den Song vor jeder Partie live auf dem Rasen der Bay-Arena gesungen. Und auch wenn er mittlerweile vom Lied aus der Konserve abgelöst wurde: Das Stück gehört fest zum Clubinventar. Ist Teil der Bayer-Kultur – was Maverick nun übrigens noch einmal gelingen könnte: Zur jüngst errungenen Meisterschaft wurde wieder getextet und arrangiert.
In Düsseldorf wiederum war Mitte der 90er Jahre einer Punkrockband das gelungen, was Campino und Co. bis heute nicht hinbekommen haben: Die Public Toys schrieben ihrer Fortuna eine Hymne auf den rot-weißen Leib. Mit verzerrten Gitarren vor der Brust, Lederjacken am Körper, Iro auf dem Kopf und lauten »O Fortuna«-Chören im Refrain. Roman Thiel, heute Chef seines eigenen Labels »Hinterhof-Produktionen«, war damals Bassist der Band, die es zwar schon lange nicht mehr gibt, die aber in der nicht kleinen Düsseldorfer Punkszene eine Legende ist. Und er erinnert sich: »Wir wurden 1994 von den Leuten des Fortuna-Fanzines Come Back gefragt, ob wir nicht einen Sampler mit Songs für den Verein aufnehmen wollten.« Und so landeten die Public Toys einen Hit, der – neben drei weiteren Liedern für den Verein und unter dem Titel »Drei Akkorde für Fortuna« – in vierstelliger Menge auf Vinyl gepresst schnell ausverkauft war in der Stadt. Und der vor allem in den Nullerjahren seine Hochzeit im Stadion hatte: Dort übernahm mit »Opa« Marcus Haefs ein ausgewiesener Punk-Liebhaber und Hosen-Intimus den Posten des Stadion-DJs – und legte natürlich auch »O Fortuna« auf. Regelmäßig. Und obwohl »die Vereinsverantwortlichen vom Song eigentlich eher weniger angetan gewesen waren«, wie Thiel betont. Die Public Toys seien eben Schmuddelkinder gewesen. Die allerdings mitten ins Herz einer Fanszene getroffen hatten.
Womit auch klar ist, was so eine Vereinshymne – ob Punk, Cash-Country oder kölsche Mundart – letztlich erst zur Hymne macht: Herzblut. »Und Glaubwürdigkeit«, wie Thiel sagt. »Das darf keine reine Auftragsarbeit, keine Geldbeschaffungsmaßnahme sein, sondern muss immer einen Bezug zur Fanszene, zum Club und zur Stadt haben. Mit sowas macht man keinen Mist!« Das bestätigt auch Maverick: »Ich habe damals Bayer-Fans gefragt, was Leverkusen für sie ausmacht – und das dann alles in den Text eingebaut.« Patrick Lück von den Höhnern weiß: »Identifikation zählt. Man muss ganz genau wissen, worum es geht.« Man müsse »Emotionen wecken« durch das Schaffen einer »Wir!«-Haltung, die unverhandelbar ist. So wie es eben in der FC-Hymne – unterlegt mit der Herzen brechenden Melodie des schottischen Traditionals »Loch Lomond« – heißt: »Und wir geh‘n mit dir wenn es sein muss durchs Feuer!« Durch »dick und durch dünn, ganz egal wohin«.