// Ist er’s? Ist er’s nicht? Das ist die Doppelfrage, die sich in Eduardo De Filippos spätem Stück »Die Kunst der Komödie« (1964) durchgängig stellt und es, kunstvoll und komödiantisch, in Bewegung hält. Sind es wirklich der Arzt, der Apotheker, der Pfarrer, die Lehrerin, die bei Seiner Exzellenz De Caro, dem neuen Präfekten eines Städtchens in den Abruzzen, vorstellig werden? Oder ist es nur jemand, der sich für sie ausgibt, Schauspieler aus der Wandertheatertruppe von Oreste Campese, der mit seiner Bitte um Unterstützung für sein abgebranntes Quartier dann doch, wie der Verwaltungschef findet, zu weit geht und sich nun, da sie ausbleibt, genüsslich an ihm rächt: Hat der Theaterdirektor statt der Reiseunterlagen doch die Besucherliste eingesteckt und damit gleichsam den Besetzungszettel für ein Verwirrspiel mit der Wirklichkeit in der Hand?
In der szenischen Lesart, die Roberto Ciulli am Theater an der Ruhr in Mülheim einschlägt, scheint die Frage ziemlich schnell entschieden. Wenn auch keineswegs einheitlich, sondern merkwürdig paradox: Während de Caro, der hier, gespielt von Petra von der Beek, zur madamig überforderten Präfektin geschlechtsgewandelt ist, sich gleich und auch ganz gerne dem Glauben hingibt, dass ihr nur etwas vorgemacht wird, darf der Zuschauer sicher sein, es nicht mit Simulanten zu tun zu haben. Was jene, auch zur eigenen Entlastung, als ziemlich perfekte Täuschung auffasst, kann dem Publikum, weil auch nicht der Hauch einer augenzwinkernden Differenz mitgespielt wird, gerade nicht so vorkommen. Sein oder Schein nicht als Spiel, sondern als Frage der Perspektive.
So verschiebt die Aufführung die Antithetik von De Filippos Schauspiel und nimmt ihm den doppelten Boden. Der Zuschauer verfolgt, wie da jemand einer Illusion erliegt, aus der Distanz und wird von der Irritation, was Sein, was Schein ist, nicht groß behelligt. Der Regisseur hat selbst das karge Bühnenbild entworfen und einen Holztisch mit Telefon und Akten, Sessel und Stuhl in den kahlen, von einer nackten Glühbirne behangenen Raum gestellt: Sehr ernst, konzentriert und gedämpft läuft das Stück darin wie ein alter Schwarz-Weiß-Film ab. Seine Italianità (oder was wir dafür halten) wird ausgenüchtert: Dunst der Komödie. Der Theaterdirektor gibt den Theaterdirektor: Roberto Ciulli spielt ihn, mit einer selbstverständlichen Würde und der Sicherheit eines Mannes, der mit der Kunst auch die höhere Erkenntnis auf seiner Seite hat.
Der suspendierte Zweifel aber tritt am Ende leise durch die Hintertür wieder ein. Denn »Schauspieler oder Nichtschauspieler«, so Campese, »die Tatsachen hier bleiben doch dieselben«, und spielen wir nicht alle eine Rolle? So ist die Inszenierung weniger theatralisch ergiebig als philosophisch bemüht und gerät zum Ausweis von Ciullis Kunstverständnis: Das Theater als intensivere Wirklichkeit. Kommt er? Kommt er nicht? lautet die letzte Frage, als der Theaterdirektor und der Präfekt auf den Maresciallo der Carabinieri warten – fast wie auf den Erlöser und so vergeblich wie auf die Titelfigur eines viel berühmteren Stücks. Spätestens da hat Eduardo De Filippo Blickkontakt mit Samuel Beckett aufgenommen. // ARO