TEXT SASCHA WESTPHAL
Blickt man nach einiger Zeit zurück auf Bernadette Sonnenbichlers Regiearbeiten, erinnert man sich zuerst an die Bühnenräume. So hat Norbert Bellen im Theater Aachen für ihre Adaption von Michail Bulgakows Roman »Der Meister und Margarita« die Spielfläche in eine leere, auf mehreren Ebenen bespielbare Fabrikhalle verwandelt. Ein eindeutiges Bild für das Leben in Stalins Sowjetunion – und noch viel mehr. Die äußere Wirklichkeit der 1930er Jahre in Moskau spiegelt sich da ebenso wie die innere Befindlichkeit der Figuren Bulgakows.
Innen- und Außenwelt lassen sich in Sonnenbichlers Theater nicht klar trennen. Der Zuschauer erlebt aus der Distanz mit, was den Protagonisten widerfährt, und zugleich scheint er in deren Kopf zu sitzen. Ihre am Schauspiel Münster entstandene Aufführung von Fassbinders »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« hätte auch den Titel »Being Petra von Kant« tragen können. Die weiße Spielfläche (geschaffen von Valentina Crnković) deutete Freiheit an und war mit ihren von der Decke herabhängenden Eisenketten dennoch genau das Verlies, das sich Fassbinders lesbische Modeschöpferin mit ihren Besitzansprüchen und ihrer Sehnsucht nach Dominanz selbst erbaut hat. Nichts ist nur eine Sinnsetzung, alles lässt sich vieldeutig lesen. Dass sich dieser Effekt einstellt, erfordere, so die 1982 in München geborene Regisseurin, enorme »Projektionsarbeit«: »Für mich ist es absolut notwendig, dass ich mich im Vorfeld der Proben sehr gut vorbereite. Nur so kann am Ende eine in sich stimmige Welt entstehen.«Diese Sehnsucht nach einer »stimmigen Welt« ist ein starker Motor. Beim Treffen auf der Brücke im Central, der Ausweichspielstätte des Düsseldorfer Schauspielhauses, an das Bernadette Sonnenbichler von Wilfried Schulz als Hausregisseurin engagiert ist, kommt sie von der Probe zu »Romeo und Julia«, ihrer ersten Shakespeare-Inszenierung. Das Stück umgibt in Düsseldorf seit Karin Beiers Inszenierung vor 23 Jahren eine gewisse legendäre Aura.
Sonnenbichler ist etwas spät dran, die Probe war, bricht es aus ihr heraus, »sehr intensiv und ging entsprechend ein wenig länger«. Die Energie, die zwischen ihr und dem Ensemble geflossen sein muss, ist noch unvermittelt spürbar. Natürlich haben »wir« – damit meint Sonnenbichler Regisseure, Schauspieler und Zuschauer gleichermaßen – den Klassiker »schon so oft wiedergekäut«. Aber was heißt das schon! Entscheidend ist die ansteckende Begeisterung, mit der sie von dem Drama spricht, das für sie ein aktuell bleibender »Urmythos« ist.
Von all den berühmten Aufführungen und noch berühmteren Verfilmungen muss man sich freimachen. Dieser Akt des Loslösens und des Ausblendens, der auch einer des In-sich-Hineinhörens ist, gehört für die Theater- und Hörspielregisseurin, die ursprünglich Musikerin werden wollte und 17-jährig einen ersten Preis beim Wettbewerb »Jugend musiziert« gewonnen hat, ohnehin zum Arbeitsprozess. »Wie klingt der Stoff?«, lautet die unerlässliche Frage. Die Tonlage der Antwort variiert.
»Der Meister und Margarita« hörte sich nach osteuropäischem Folkpop an, in den sich Punk-Akkorde mischen. »Petra von Kant« hatte den kalten Sound eines britischen Electro-Popsongs der 80er Jahre. Wolfgang Borcherts Nachkriegselegie »Draußen vor der Tür«, die sie am Schauspiel Münster skelettierte, schwang im Rhythmus eines überhitzten Totentanzes, dessen Melodie sich überschlägt. Wie »Romeo und Julia« klingen wird, ist in dieser Phase noch offen. Doch eines weiß Bernadette Sonnenbichler bereits: »Ich finde es viel interessanter, einen ewigen Kreislauf zu erzählen, als eine eindeutige Aussage am Ende zu treffen.«
Shakespeares »Romeo und Julia«; Düsseldorfer Schauspielhaus; Termine: 20. (öffentliche Probe), 23. (Premiere), 25., 27. & 30. September 2016; Große Bühne im Central.