TEXT UND INTERVIEW: ANDREAS WILINK
Romantik, Porno, Stress, Job, Liebe, Wehwehchen und manches mehr spult ab im Vorspann, der eine rasant montierte Motivkette bildet, die für mehrere Filmgeschichten reichen würde und von den folgenden zwei Stunden noch übertrumpft wird. An Phantasie mangelt es Tom Tykwer nie, auch wenn diese Verschwendung gelegentlich als unökonomisch erscheint.
»Drei« ist die Synthese aus »Lola rennt« (formal spielerisch und berlinerisch) und den metaphysischen Romanzen »Der Krieger und die Kaiserin« und »Heaven« und so etwas wie ein jugendliches Alterswerk. Stets waltet bei Tykwer der Zufall als Notwendigkeit und höhere Logik, um eine Kommunion der Körper herbeizuführen. Dafür wird in einer Art Prolog auf abstrakter Bühne ein Pas de trois getanzt: zwischen zwei Männern und einer Frau, also der »Jules et Jim«-Konstellation. Aber langsam, der Reihe nach. Denn das Leben kann ganz schön viel und unberechenbar sein.
Hanna und Simon (Sophie Rois, Sebastian Schipper) sind seit 20 Jahren ein Paar und machen das nun auch standesamtlich. Er baut mit seiner Firma Kunst-Objekte, sie moderiert Kultur im Fernsehen – und hört zu dem Zweck im Nationalen Ethikrat einen Vortrag zur Chimärenforschung von Dr. Adam Born. Jetzt kommt es ziemlich dicke. Simons Mutter (Angela Winkler) hat Krebs, versucht sich mit Tabletten umzubringen und liegt hirntot im Krankenbett. Nachdem ihr Sohn sie von der Apparatemedizin abgeschaltet hat, umschwebt sie ihn als Engel und zitiert Hermann Hesse. Simon selbst muss mit der Diagnose Hodenkrebs unters Messer und in die Chemotherapie. Hanna geht es gut, sie verliebt sich in Adam, als sie gemeinsam im BE sitzen, während Robert Wilson die Shakespeare-Sonette verpuppt.
Aber auch der in seiner Männlichkeit amputierte Simon wird sich im Schwimmbad auf der Spree in Adam verlieben, nachdem er in der Umkleidekabine unversehens Sex mit ihm hatte.
Adam singt im Chor, macht Judo, fährt Motorrad, geht Segeln, hat Frau und Sohn auf dem Land und einen One Night Stand mit einem niedlichen Kollegen im Institut. Demnach zwar konkreter und irdischer als Pasolinis ungreifbar schöner Katalysator aus »Teorema«, ist er trotzdem ein weißes Blatt. Adam – Born des Glücks: So wie ihn Devid Striesow mit seiner bezwingenden Lässigkeit und gedimmten Leuchtkraft spielt, will man’s gern glauben und bleibt unentschieden, wem man lieber zuschaut, ihm oder Sophie Rois, die – sprühend, witzig, konfus, kess, intelligent, selbstbewusst – ihr Best of gibt. Tykwer betet auf seine spezielle, hier fast essayistisch-narrative Weise das cineastische Glaubensbekenntnis herunter: dass der Apparat die Muse sei, den er von Splitscreen bis zum Scherenschnitt und epischen Zeitsprüngen versiert beherrscht, und dass Kino das Kraftwerk der Gefühle sei.
»Drei« ist schwarzweiß und bunt, verkopft und beseelt, unvernünftig und klug, schwermütig, sentimental und ironisch. Das Raumschiff Berlin hebt darin mit Major Tom ab und landet auf einer Insel der Seligen, die die Maße eines Bettes hat, eines Reagenzglases und eines Laborplättchens.
»IRGENDWO ANDERS HINSCHWEBEN«
Tom Tykwer über seine Hauptdarsteller, Berlin als Lebensort, die unbedingte Liebe und das gute Ende.
K.WEST: Könnten Sie sich auch in Devid Striesow verlieben? Zumindest nach Ihrem Film schiene das gut so und ganz normal.
TYKWER: Als Regisseur kann man kaum etwas anderes tun, denn Devid ist auf äußerst eigenwillige Weise ein Verführer. Er changiert quasi ununterbrochen zwischen extrovertiertem Irrwitz und einer nach innen gewandten Suchbewegung, die dafür sorgt, dass man ständig an ihm haftet. Man will in eine Lücke zwischen diesen Polen stoßen, um an sein Geheimnis ranzukommen. Und dabei verstrickt man sich mit ihm.
K.WEST: Dieses Geheimnis scheint bei ihm klar auf der Oberfläche zu liegen. Bei ihm wirkt alles immer einfach und wie von selbst hergestellt. Trotzdem, darunter liegt etwas Ungehobenes, Unsichtbares. Wieviel Pasolini und »Teorema«-Idee steckt in Adam Born?
TYKWER: Na ja, er betritt den Film als Terence Stamp aus »Teorema«, das kann man vielleicht so sagen. Aber dann, sukzessive, wird aus der reinen Projektionsfläche ein vollständiger, dreidimensionaler Charakter. Das war uns sehr wichtig: dass Adam nicht bloß ein rätselhafter Verführer bleibt, sondern dass wir ihn Stück für Stück mehr in eine Plastizität bringen, ihm eine Geschichte verpassen. Schließlich wird auch aus dem Verführer ein Verführter.
K.WEST: Wobei ich die Attraktivität von Sophie Rois nicht unterschlagen will. Sie kommt mir vor wie die attraktivste Frau des deutschen Kinos seit langem. Sie ist erwachsen, kantig, reif und klug – und kann trotzdem manchmal kindlich staunend ausschauen und sich auch so verhalten.
TYKWER: Sophie ist gegenwärtig meine Lieblingsprotagonistin, das stimmt. Vielleicht hat es auch etwas damit zu tun, dass sie ihre sehr spezifische Art zu arbeiten und zu denken – was bei ihr enger zusammen liegt als bei anderen – und eine gewisse Reife und Sicherheit erreicht hat, die ich bewundere und umgekehrt auch für mich selbst anstrebe. Ich nehme an, Ursache unseres Einverständnisses war das Gefühl, inzwischen nach ähnlichen Dingen in Texten und Bildern zu suchen, nachdem man schon so einige verschlungene Pfade hinter sich gebracht hat.
K.WEST: Kann jemand wie Sophie Rois, geprägt durch ihre Zusammenarbeit mit Castorf, Pollesch, Schlingensief und Marthaler und immer sehr eigen, einen Regisseur nicht auch verunsichern? Oder war das einkalkuliert?
TYKWER: Ich hätte den Film ohne sie nicht gemacht. Von Anfang an war mir beim Schreiben des Buchs klar, dass nur Sophie Rois das spielen kann und soll. Das sage ich ohne jedes Pathos – die Entwicklung der Hanna basiert schließlich zu einem Gutteil auf Phantasien und Ideen, die mir erst durch Sophie und ihre Arbeiten, in denen ich sie gesehen habe, durch den Kopf gespukt sind. Insofern war es ein Risiko, das Buch erstmal zu beenden und es sie dann lesen zu lassen. Zum Glück konnte sie etwas damit anfangen. Allerdings hat sich dann in den folgenden Gesprächen und Proben mit ihr noch einiges getan.
K.WEST: Wie sehr denken Sie filmische Bilder und Vorbilder mit? Oder liegen die abrufbereit im inneren Archiv, wo sie gar nicht mehr intellektuell gehoben werden müssen?
TYKWER: Keine Ahnung. Das Kino ist halt ein wichtiger Teil meiner persönlichen Geschichte und hinterlässt seine Spuren folglich auch in meinen Filmen. Ich denke aber beim Machen selbst nicht darüber nach, ob und welche Bezüge sich ergeben.
K.WEST: »Drei« ist auch ein Film über Berlin. Nicht der Himmel darüber, sondern gewissermaßen der feste Boden unter den Füßen von Berlin. Ein Stadt-Porträt im Spiegel einiger Personen und ihrer Befindlichkeit, ihres Alltags, ihres sozialen Verhaltens. Halten Sie diese besondere Geschichte trotzdem für repräsentativ?
TYKWER: Es ist ein Film über Menschen, die mir vertraut sind. Die ich kennen könnte, die ich sein könnte. Mit deren Vorzügen und Macken ich mich halbwegs auskenne. Ob damit ein Zeitgefühl eingefangen wird, weiß ich nicht. Auch nicht, wie repräsentativ das für irgendeine Gegenwart ist, die doch schon manchmal von Landstrich zu Landstrich, von Regionalkultur zu Regionalkultur allein im innerdeutschen Raum so extrem unterschiedlich erscheint. Berlin selbst wollten wir hingegen einmal nicht so sehr als Kulisse zeigen, sondern eher als Ort, an dem Menschen zuhause sind. So fehlen oft diese klassischen etablierenden Totalen, weil man eine Stadt, in der man lebt, ja auch nur noch selten aus der Distanz, sondern mehr aus der Nähe, von innen betrachtet und erlebt.
K.WEST: Von seiner Essenz oder Substanz her scheint mir »Drei« sehr deutsch? Was nicht heißt, dass er nicht international lesbar wäre, wie ein Film von Woody Allen oder Almodóvar….
TYKWER: Das Label »deutsch« als ästhetische Norm hat sich doch schon lange überholt. Ich weiß heute nicht mehr, was das bedeuten soll. Aber in deutscher Sprache zu drehen, insbesondere mit diesen Schauspielern, war für mich nach so langer Zeit sehr befriedigend und schön.
K.WEST: Man könnte »Drei« auch »Das Wunder von Berlin« nennen – in Anlehnung an Vittorio de Sicas »Das Wunder von Mailand«, Ihrem Lieblingsfilm, wie Sie mal gesagt haben. Die Verbindung liegt in der Kollision von Märchenhaftem und Realismus. Ihr Stilprinzip?
TYKWER: Es passiert mir einfach. Es liegt aber sicher auch an den Einflüssen meiner Arbeitspartner. Frank Griebe, der Kameramann, mit dem ich von Anfang an gedreht habe, auch Uli Hanisch, der Szenenbildner, mögen es gelegentlich sehr gern, wenn ein Film sein allzu diesseitiges Terrain verlässt und irgendwo anders hinschwebt. Das kommt dann meinen Bedürfnissen sehr entgegen.
K.WEST: Dieser Schwebezustand kommt auch durch den Faktor Zeit zustande. Sie machen ihn gern sichtbar und durchsichtig – in »Lola rennt« am wirkungsvollsten. Wiederholung, Variation, Parallelität von Ereignissen etc. Reagieren Sie damit auch auf Kommunikationsprozesse des Virtuellen und Digitalen?
TYKWER: Irgendwie ist es eher ein filmimmanentes Prinzip, das mir Spaß macht, wie sehr man Zeit dehnen, pressen und vergleichzeitigen kann. Ich finde es sehr befreiend, dass das Erzählen im Kino nicht mit der Penetranz der Realzeit Schritt halten muss.
K.WEST: Wie viel vom Mittvierziger Tom Tykwer selbst steckt in dem Trio Hanna – Simon – Adam?
TYKWER: Wenn in fiktiven Geschichten Figuren und Situationen plausibel erscheinen, ist das wohl meistens so, dass die Welt des Autors darin direkt oder indirekt zum Vorschein kommt. Aber man unterschätzt doch, wie sehr beim Film sich eine Vielstimmigkeit bildet. Schauspieler sowieso und auch jemand wie die Cutterin Mathilde Bonnefoy prägen einen Film sehr stark, so dass er eher einem pluralen Selbstgefühl dieser kreativen Gruppe entspricht als meinem Horizont allein. Andererseits – wir sind alle um die Vierzig, mehr oder weniger…
K.WEST: Ist das ironisch verspielte Ende eine Art Utopie-Entwurf mit einer alternativen Konstruktion von Leben, Paar und Familie?
TYKWER: Nein. Eher ein Epilog, weil nun mal jeder Film ein Ende braucht, das auch wie eines aussieht. Es ist einfach ein hoffnungsvolles, auch humorvolles Ende, das diese Geschichte verdient hat. Schließlich bemüht »Drei« sich darum, auch eine Komödie zu sein.
K.WEST: Bei Ihnen spielt der Zufall stets mit, den man aber nicht banal so nennen möchte. Es ist mehr Schicksal und Fügung. Wie erklären Sie sich dies Unerklärliche?
TYKWER: Gar nicht. Das Leben ist eine einzige Kette von unvorhersehbaren Ereignissen. Fügen wir uns in die Kontingenz und genießen sie.
K.WEST: Liebe verlangt – in Ihren Filmen – beherzten Einsatz. Wenn es eine Voraussetzung für Gelingen und glückende Liebe gibt, wäre das für Sie Willensstärke?
TYKWER: Unbedingt.
Tom Tykwer, geb. 1965 in Wuppertal, mit elf drehte er erste Super-8-Filme, in Berlin managt er ab 1988 ein Kino in Kreuzberg, 1994 Mitbegründer von X-Filme Creative Pool; 1993 erster Spielfilm »Die tödliche Maria«, 1998 sensationeller Erfolg mit »Lola rennt«; der Regisseur, Autor, Komponist und Produzent erhielt u.a. zweimal den Deutschen Filmpreis, den Deutschen Kritikerpreis und den Bambi.