TEXT: GUIDO FISCHER
Jüngst ist es ihr, an vertrauter Wirkungsstätte, wieder geglückt. An der Bayerischen Staatsoper gab Anja Harteros ihr Rollendebüt als Leonora in Verdis »Macht des Schicksals«. Wie schon im letzten Jahr, als sie in München die Namensschwester in Verdis »Troubadour« sang, stand sie mit Tenor Jonas Kaufmann auf der Bühne. Und versetzte die Kritik in einen Taumel zwischen seriöser Bewunderung und teeniehaftem Schwärmen. Man bestaunte die Makellosigkeit ihres lyrischen Soprans selbst in gefährlichsten Höhen. An der facettenreichen, leuchtend warmen oder dramatisch schillernden Mittellage der Sängerin konnte man sich so wenig satt hören wie an der Stimm-Schauspielerin satt sehen. Anja Harteros ist auch in diesem italienischen Opernfach mit die Beste, wenn nicht derzeit unerreichbar.
An Superlative ist sie gewöhnt. Welche Partien sie auch weltweit während 20 Jahren gesungen hat, stets war man der Überzeugung, dass die Deutsch-Griechin eine Idealbesetzung sei.Ob als Alcina in Händels gleichnamiger Oper, ob als Elisabeth im »Tannhäuser« oder als Marschallin im »Rosenkavalier«: Sie »wachse an jeder Rolle«, so Harteros über ihr künstlerisches Vermögen: »Jeder Ton, den ich singe, ist wirklich ein Teil von mir.«
Um diesen Ton präzise und mit ausdruckstärksten Atem zu treffen, braucht es mehr als Talent. Um ihre Höchstleistungen planbar abrufen zu können, teilt sich die 42-Jährige ihre geistigen und körperlichen Kräfte gut ein. Mehr als 40 Auftritte pro Jahr mutet sie sich nicht zu. Selbst für die scheinbar karrierefördernden Mechanismen des Klassikbetriebs ist Harteros nicht zu haben. Im Gegensatz zu Netrebko & Co. sind Open-Air-Konzerte nichts für sie, obwohl sich da eine Menge Geld verdienen lässt. Mit den PR-Strategien der Tonträgerbranche mag sie sich nicht anfreunden.
2006 – da war sie 34 Jahre alt – veröffentlichte sie ihr erstes CD-Recital mit Arien von Haydn und Mozart. Doch trotz blendender Kritiken wurde der exklusive Schallplattenvertrag auch wegen künstlerisch unterschiedlicher Vorstellungen nach einer Strauss-Einspielung bald gelöst. So ist seither lediglich 2010 bei einem anderen Label eine dritte CD erschienen, auf der sich Harteros als glänzende Schubert-Interpretin präsentiert. Ihre hochexpressiven Verdi-Qualitäten immerhin sind in einer Aufnahme des Requiems mit Antonio Pappano am Pult dokumentiert.
Die in München lebende Sopranistin beweist indes, dass man keine werbeträchtigen Glamourgeschichten und nicht mal eine internationale Künstleragentur braucht, um sich an der Weltspitze zu etablieren. Bei Harteros zählen von jeher ausschließlich Stimme, Ausstrahlung und Souveränität, mit der sie selbst schwierigste Rollen ohne Anflug von Nervosität meistert. Harte Arbeit und strenge Lebensführung sorgen dafür, dass sie nie unter ihren eigenen Maßstäben bleibt. Zudem kann sie aus einem enormen Erfahrungsfundus schöpfen.
Die im oberbergischen Bergneustadt geborene Tochter eines griechischen Vaters und einer deutschen Mutter sammelte erste Bühnenerfahrungen noch während ihres Studiums an der Kölner Musikhochschule. Sie war dann für einige Jahre festes Ensemblemitglied in Gelsenkirchen und ging danach an die Bonner Oper. 1999 dann die Wende, als sie in Cardiff den renommierten »Singer of the World«-Wettbewerb gewann und in aller Munde war. Zahllose Einladungen, auch für Wagner- und Verdi-Opern, folgten. Harteros aber überstürzte nichts, sondern reiste zum Vorsingen bei James Levine nach New York. Der amerikanische Maestro lud sie ein, an der Met die Gräfin im »Figaro« zu singen. Wieder zurück in Europa, debütierte sie unter Zubin Mehta an der Bayerischen Staatsoper als Agathe in Webers »Freischütz«.
Seitdem ist sie an der Mailänder Scala, am Londoner Covent Garden und bei den Salzburger Festspielen aufgetreten. Als Konzertsängerin widmete sie sich mehrfach den »Vier letzten Liedern« von Richard Strauss, der zu ihren Herzenskomponisten zählt. Nach ihrer auch mit einem Schallplattenpreis ausgezeichneten Einspielung mit der Dresdner Staatskapelle rundet Harteros jetzt ihre auf vier Konzerte angelegte Residence in der Essener Philharmonie mit den delikat farbigen, herrlich gefühlssatten Strauss-Liedern ab. Begleitet wird sie beim Abschlusskonzert von den Münchner Philharmonikern unter Lorin Maazel. Auf den 150. Geburtstag des Münchners Strauss ausgerichtet sind zudem die Termine im März und April. Während Harteros mit den Essener Philharmonikern in einer Gala ausgewählte Arien aus Opern wie »Rosenkavalier« und »Arabella« singt, taucht sie danach mit Pianist Wolfram Rieger in intime Liederwelten ein.
Beim Eröffnungskonzert wird sie sich von neuer Repertoire-Seite zeigen. Bisher hat sich die Primadonna weder mit französischen Opern noch mit den Fin de siècle-Melodien eines Gabriel Fauré und Ernest Chausson beschäftigt. Von den Monsieurs bringt sie zwei Vokalwerke mit, die in der Besetzung ziemlich aus dem Rahmen fallen. Fauré und Chausson haben ihre Chanson-Reigen für Sopran, Streichquartett und Klavier komponiert. In deren Klangsprache kann sich Harteros durchaus heimisch fühlen und in dem französischen Klangfarbenspiel ihre verführerisch schönsten Legato-Künste ähnlich ausspielen wie bei Strauss.
Anja Harteros »In Residence«: »La Bonne Chanson« am 21. Februar 2014, Philharmonie Essen; weitere Termine: 8. März, 26. April, 24. Mai 2014; www.philharmonie-essen.de