TEXT: STEFANIE STADEL
Der Galerist war neugierig, doch Joseph Beuys ließ sich bitten. Wieder und wieder. Bis er Alfred Schmela mit Frau und Tochter 1963 schließlich doch in Kleve empfing. Zuerst bewirtete der kochende Künstler seine Gäste mit deftigen Schweinefüßchen. Dann zogen alle gemeinsam die lange Allee hinaus zu Beuys’ Atelier im Alten Kurhaus. Trotz des hohen Besuchs hatte er sich offenbar nicht einmal die Mühe gemacht, dort aufzuräumen. Zwischen Aquarellen, Zeichnungen, Objekten schockierte eine tote Ratte im Karton. Schmela konnte wenig Marktgängiges entdecken.
Seither ist viel geschehen: Beuys stieg auf zum Jahrhundertkünstler, seine Werke wanderten in internationale Museen. Und das Atelier, wo der glücklose Jungkünstler einst den großen Galeristen enttäuschte, ist zur Pilgerstätte aufgemöbelt worden. Am 9. September feiert man Eröffnung im Museum Kurhaus Kleve. Denn nicht nur Beuys wirkte in diesen Mauern. Seit 1997 sitzt in dem Gebäude auch das inzwischen recht renommierte städtische Museum. Bis vor kurzem nutzte es nur den neueren Teil – Badhotel und Wandelhalle von 1873. Was nun hinzukommt, ist das 1846 fertig gestellte, in den letzten Jahren restaurierte und museumsgerecht umgebaute Friedrich-Wilhelm-Bad. Oben bietet es zusätzliche Ausstellungsfläche, und im Erdgeschoss öffnen sich eben jene Räume, in denen der junge Beuys einst sein Atelier unterhielt.
Alles wird eins. Und Guido de Werd, Ex-Direktor und Senior-Kurator, sieht ruhigeren Zeiten entgegen. Seit den Anfängen hat er die Geschichte des Klever Museums begleitet, die Sammlung aufgebaut und schließlich aus dem Ruhestand heraus die Baumaßnahmen gemanagt. Mitte August, ein paar Wochen vor der großen Eröffnung, trifft man ihn inmitten der Baustelle. Am Tag zuvor von den Arbeiten aus seinem Büro vertrieben, sitzt de Werd mit Notebook und Mobiltelefon in der ersten Etage des Fiedrich-Wilhelm-Bads und erzählt gern aus der Museums-Historie.
Zunächst war es vor allem Kunst des Niederrheins aus Mittelalter und Barock, die in Kleve gesammelt wurde. Außerdem Malerei der hiesigen Romantik. Das 20. Jahrhundert interessiert erst seit den 80ern, als die Stadt den Nachlass von Ewald Mataré erwarb. Seither ist einiges hinzugekommen – nicht nur von Mataré. Design, Grafik, Alte Kunst, vor allem aber Zeitgenössisches zum Beispiel von Gerhard Richter, Günther Uecker, Yves Klein, Christo, Arman und Cy Twombly. Von Thomas Schütte und der Düsseldorfer Becher-Schule.
De Werd erinnert an lauter schöne Ausstellungen. Jannis Kounellis war hier, Ulrich Erben und Alex Katz. Immer wieder kamen bei solchen Gelegenheiten Werke der Gäste in die Museumssammlung. Niele Toroni druckte, wie es seine Art ist, mit dem dicken Pinsel ein Tupfenmuster ins Treppenhaus. Richard Long legte eine 30 Meter lange Spur aus Feuersteinen in die Galerie. Und Franz Gertschs fotorealistisches Riesen-porträt namens »Silvia« ist zu einer Art Klever Ikone geworden.
Eine Querbeet-Auswahl wird de Werd jetzt zum Abschied aus Kleve in den alten und neu hinzugewonnenen Räumen des Museums ausbreiten. Vom anzüglichen Handtuchhalter mit Liebespaar, den um 1535 der Klever Renaissancekünstler Arnt van Tricht schuf, bis zum 2008 von Katz gemalten Hinterkopf-Porträt »Oona’s Back«. Allerhand für ein Museum, das über keinen festen Ankaufsetat verfügt.
Der jüngste Neuzugang im Kurhaus ist zwar noch nicht bezahlt, trotzdem wird er im feierlichen Eröffnungsaufgebot die Hauptrolle spielen. Nicht zuletzt weil das gute, lange fast vergessene Stück vom neuen Hausheroen Joseph Beuys stammt und noch dazu eine Brücke schlägt zu Ewald Mataré, dem zweiten Klever Helden. Es sind monumentale Fotoarbeiten – Beuys hatte sie 1980 auf Leinen gedruckt und anschließend mit Filz und Farbe bearbeitet. Sie zeigen jene Bronzetüren, die Mataré zwischen 1947 und 1954 für das Südportal des Kölner Doms schuf – wie es oft heißt.
Tatsächlich hatte wohl sein Lieblingsstudent die meiste Arbeit damit: Joseph Beuys. Er war es auch, der damals eigenhändig seinen Rasierspiegel in eine der Türen montierte. Später ging das Detail verloren, was Beuys auf dem betreffenden Foto von 1980 im dicken schwarzen Schriftzug prägnant vermerkt: »mein Rasierspiegel fehlt!« Eine schöne Geschichte – vor allem an diesem Ort, wo Lehrer und Schüler so eindrucksvoll aufeinander treffen. In der einen Ecke des Gebäudes Mataré, in der anderen nun Beuys.
Inzwischen hat man de Werds Büro-Provisorium verlassen, ist hinunter gestiegen ins Atelier. Die Raumaufteilung dort ist noch ganz die alte. Wenn alles fertig ist, werden hier Beuys-Werke aus der Sammlung einziehen. Außerdem sollen Gipsentwürfe, die Künstlerwitwe Eva Beuys als Dauerleihgaben nach Kleve gibt, für ein wenig Atelier-Atmosphäre sorgen.
Wie es hier wirklich aussah? Davon zeugt eine Gruppe historischer Fotos, die Fritz Getlinger einst aufgenommen hat. Da zeigt sich der junge Künstler etwa bei der Arbeit am »Büdericher Ehrenmal«, 1958 bereits mit schwarzem Hut. Das Drumherum sieht heute fast so aus wie damals, sogar das Muster auf dem Fußboden ist geblieben. Allein die Wandfarbe stimmt nicht. Die hübsche historische Bemalung wurde freigelegt. Bei Beuys war sie noch von weißer Tünche überdeckt, die der Künstler, so vermutet de Werd, wahrscheinlich selbst aufgebracht hatte, als er sich 1957 das Atelier einrichtete.
Das prägende Studium bei Mataré an der Düsseldorfer Akademie lag damals bereits drei Jahre hinter ihm, die Trennung vom prägenden Lehrer war vollzogen und die tiefe Krise, in die Beuys anschließend fiel, wohl so gut wie überstanden.
Trotzdem zog es den Künstler vorerst nicht zurück nach Düsseldorf. Beuys blieb in Kleve, seiner Heimatstadt. Wo er als Pennäler die Treppen des Gymnasiums an der Ringstraße gern per Fahrrad hinuntergerattert war – vom obersten Stock bis in den Keller.
Im alten Kurhaus, nahe seinem Elternhaus, fand Beuys damals den richtigen Ort zum Neuanfang. Parallel zu der Arbeit am monumentalen, noch Mataré verpflichteten Ehrenmal für Büderich begann er hier frei mit neuen Formen und Materialien zu experimentieren und allerlei wissenschaftliche Studien zu betreiben, die seinen alternativen Wissenschaftsbegriff begründen werden. An diesem Ort entstanden, wie Beuys selbst später erklärte, »die ersten theoretischen Strukturen zur Erweiterung des Kunstbegriffs.«
Im Frühjahr 1961 schließlich bewarb sich der Künstler aus dem Kurhaus-Atelier heraus erfolgreich um die Professur für monumentale Bildhauerei an der Düsseldorfer Kunstakademie. Damit neigte sich die Zeit in Kleve dem Ende zu. Aber nicht so ganz. Bevor Beuys das Atelier 1964 endgültig aufgab, sollte Schmela noch vorbeischauen – Schweinefüßchen essen und einer Ratte beim Verwesen zuschauen.
Museum Kurhaus Kleve; Eröffnung am 9. September 2012; Eröffnungsschau bis 13. Januar 2013; Tel. 02821/75010. www.museumkurhaus.de