Das Haus steht in Hückeswagen im Oberbergischen Land – also eine 45-Minuten-Fahrt von Köln oder dem Ruhrgebiet entfernt –, gleicht aber einem bayrischen (Alpen-)Landhaus. »Unser Vater ist ein Fan dieser Architektur«, erklärt Roman Wasserfuhr, der mit 36 Jahren ältere Bruder. Sein Instrument ist das Klavier. Julian Wasserfuhr ist zwei Jahre jünger und spielt Trompete. Ihr Vater Gerald ist gelernter Bauzeichner, hat aber später klassische Klarinette studiert und als professioneller Musiker gearbeitet. Mutter Renate ist Sängerin. Es hätte also schon einiges schieflaufen müssen, um die Söhne nicht auf eine musikalische Laufbahn zu bringen.
»Bei uns lief immer Musik oder es wurde Hausmusik gemacht«, erinnert sich Roman Wasserfuhr. »Aufgewachsen sind wir in einem kleinen Haus in der Hückeswagener Altstadt, der Flügel musste auch als Tisch dienen. Mit sieben haben wir beide mit Instrumentalunterricht angefangen«, erzählt Julian, »und unsere Eltern haben geschickt eingefädelt, dass wir diese Kombination von Instrumenten spielen. So konnten wir immer zusammenspielen – und hatten Spaß dabei.«
Die Brüder sitzen an einer Art Biertisch im Obergeschoss des Hauses, umgeben von Holz-Möbeln und -Vertäfelungen, einem Klavier und anderen Instrumenten, einer Musikanlage samt Vinyl-Plattensammlung und ein paar Exemplaren des Biers, das sie seit einiger Zeit selbst brauen. »Schnaff – das Jazz-Bier« heißt es und hat ihnen in der Corona-Zeit, wo fast alle der für Jazzmusiker besonders wichtigen Live-Auftritte abgesagt wurden (»Fünf von 75 haben letztendlich stattgefunden«), über finanzielle Engpässe geholfen. Das Geschoss, in dem sie vor ein paar Jahren noch zusammen gewohnt haben, ist jetzt also eine Art Empfangs- und Show-Room geworden – und ein Ort zum Entspannen, wenn sie unten im Kellerstudio Aufnahmen machen.
Symbiotisches Zusammenspiel
Ja, Julian und Roman Wasserfuhr wohnen tatsächlich nicht mehr zusammen, Julian hat es sogar bis ins benachbarte Wipperfürth geschafft. Aber ihre Verbindung ist nach wie vor stark. Das kann man spüren, wenn sie von der Qualität ihres Zusammenspiels sprechen. Roman spricht von einer »Symbiose«: »Bands brauchen manchmal Jahre, um sich kennenzulernen. Wir können uns voll vertrauen, in der gemeinsamen Improvisation einfach fallen lassen.« Julian ergänzt: »Wir kennen die Stärken, aber auch die Schwächen des Anderen, können Lücken füllen«, und er geht sogar so weit: »Wenn andere dabei sind, kann sich das auch schon mal anfühlen wie ein Störfaktor.«
Aber auch über das Zusammenspiel hinaus empfinden sich die Brüder als Stütze – und nicht als Konkurrenz. Als Julian Wasserfuhr mit 16 Jahren beim Yamaha Trumpet Contest teilnahm (nachdem er mit elf Jahren bereits als jüngster Teilnehmer den NRW-Landeswettbewerb Jugend jazzt gewann), erhielt er ein Stipendium am Berklee College in Boston. Er wollte aber ungern allein nach Amerika fliegen, also kam der Bruder kurzerhand mit. Beide bekamen dort das Angebot eines weiteren Studien-Stipendiums. Aber es zog sie zurück ins bekannte Umfeld – und so studierten sie an der Musikhochschule in Köln.
Julian und Roman Wasserfuhr konnten gemeinsam ihre ersten Schritte ins harte Musikbusiness machen, sich über enttäuschende Erfahrungen im Gespräch mit Bookern austauschen, die am Telefon bloß sagen: »Ja, auf unserem Festival spielen, das wollen viele.« Sie können nach einem Konzert gemeinsam reflektieren: Warum waren wohl so wenig Zuschauer da? Oder warum ausgerechnet hier so viele? Sie können sich zu jeder Tages- und Nachtzeit an ihre Instrumente begeben und an gemeinsamen Kompositionen arbeiten. »Fast alle Stücke entstehen zusammen«, sagt Roman Wasserfuhr. Dieses Arbeiten haben beide schon in jungen Jahren erprobt, als sie Platten von Chet Baker oder Michel Petrucciani hörten und sich die harmonischen Strukturen raus schrieben.
Hang zu einfachen Melodien
»Lehrer haben uns manchmal gesagt: Ihr müsst in die Großstadt ziehen, um Kontakte knüpfen«, erinnert sich der Pianist. »Aber wir wollten doch etwas Eigenes begründen, unsere eigene Meinung und Herangehensweise ausbilden.« Beide Brüder sehen es eher als Problem, dass sich junge Musiker meistens in den Szenen zum Beispiel ihrer Akademien aufhalten und da oft einen bestimmten Stil aufoktroyiert bekommen. »Oft traut man sich gar nicht, für seinen eigenen Stil, seine Vorlieben einzustehen.« Gerade wenn der Stil vielleicht als »einfach« oder »unterkomplex« belächelt wird. Aber die Brüder Wasserfuhr haben trotz ihrer virtuosen Fähigkeiten auch einen Hang zu einfachen, schönen Melodien.
Ihr aktuelles Album, das sie mit einem Bruder im Geiste, dem Cellisten Jörg Brinkmann aufgenommen haben, heißt »Relaxin‘ in Ireland« – und klingt auch so. Das nächste Werk heißt »Relax – jazzed« und ist eine neue Folge mit Jazz-Versionen von Chill-Out-Tracks der elektronischen Musiker Blank & Jones. Und dann soll bald ein Werk kommen, das Ausdruck vielfältiger Kooperationen ist, die sie im Lockdown eingegangen sind: Da spielt zum Beispiel auf einem Stück Steely-Dan-Schlagzeuger Keith Carlock, bei einem anderen rappt Harry Mack aus Los Angeles. Kontakte knüpfen, Einflüsse sammeln – das geht im Zeitalter der digitalen Globalisierung nämlich auch von Hückeswagen aus.