Am Ende werden sie immer einsamer, die Frauen und Männer in Karen Köhlers Erzählungen. Sie entfernen sich mehr und mehr von der Welt und der Zivilisation – oder diese sich von ihnen, je nach Perspektive. Was ihnen bleibt, ist ein nebliger Berg auf den Lofoten, während das Kreuzfahrtschiff die Bucht verlässt; ein einsamer Hochsitz oder eine abgelegene Hütte in wilder Natur, so weit weg von allem, dass die letzte dort lebende Frau selbst ihr Grab neben denen ihrer Familie aushebt – für den Fall, dass ihre Leiche überhaupt gefunden wird.
Dass in Karen Köhlers Erzählungen »Wir haben Raketen geangelt« zur Hoffnungslosigkeit dennoch kein Grund besteht, liegt an ihrem leichten, unaufgeregten Ton. Köhler erzählt von dem, was nach den großen Katastrophen in der Biografie kommt. Nicht alles wird gut, aber anders. Anders im Sinne von: Es geht weiter, eine neue Lebensform muss gefunden werden. Die Rückzugsorte am Ende des Buches stellen lediglich die letzte Konsequenz dar, doch es sind Begegnungen mit neuen Menschen und alten Bekannten, die dem Leben eine andere Richtung geben. Menschen wie Cesar, der wunderbare »Popstarsonnenbrillenparadiespatientenopa« im Rollstuhl, auf den eine kahlköpfige Krebspatientin in »Il Comandante« im Krankenhaus trifft. Cesar feiert mit dem rituellen Verzehr von »Banana Split« seine Existenz. Oder der Indianer, dessen Name übersetzt »Schnee im Herbst« bedeutet. In »Cowboy und Indianer« liest er die dehydrierte Katharina kurz vor dem Verdursten im Death Valley auf, später aber muss er selbst von ihr gerettet werden.
Diese Schicksalsgemeinschaften und Fluchtpunkte sind meist nur von kurzer Dauer. Danach sind die Figuren in Köhlers Erzählungen wieder allein, wie die Animateurin auf einem Kreuzfahrtschiff in skandinavischen Gewässern, die nach dem Ende einer Liebe den größtmöglichen Abstand gewinnen will, im lächerlichen Quallenkostüm für Passagiere tanzen muss und irgendwann das Weite sucht und findet. In »Name. Tier. Beruf« brechen nach 15 Jahren alte Wunden auf, als ein Mann für ein paar Stunden in sein Heimatdorf zurückkehrt, auf seine alte Jugendliebe trifft und danach nichts, aber auch gar nichts mehr in Ordnung ist. In »Polarkreis« werden Postkarten und Briefe aus dem fernen Italien verschickt, die mit »Bin Zigaretten holen« beginnen und nach einem Sommer der Distanz mit »Komm her. Und bring den Ring mit« enden. Grandiose Erzählungen hat Karen Köhler geschrieben, meist kurz hinter den Bruchkanten des Lebens – hart, heiter und lässig melancholisch.
Karen Köhler: »Wir haben Raketen geangelt«. Carl Hanser Verlag, München 2014, 240 Seiten, 19,90 Euro
Lesungen: 3. November 2014 in der Stadtbibliothek Bielefeld, 19. November in der Stadtbücherei Bochum.