Andres Veiel hat eine beklemmende Film-Dokumentation über Leni »Riefenstahl« gemacht und bisher Unveröffentlichtes zu Tage gebracht. Erfahren wir etwas Neues?
Walter Benjamin schreibt: »Der Faschismus betreibt die Ästhetisierung des Politischen, während der Kommunismus mit der Politisierung der Kunst antwortet.« Man wird annehmen können, dass der von den Nazis zu Tode gehetzte Philosoph Filme von Leni Riefenstahl zur Kenntnis genommen hat.
Heroisch, pathetisch, höhenberauscht war schon die junge Schauspielerin in den Bergfilmen von Arnold Fanck, besonders in »Das blaue Licht«, den sie als »Schlüssel« zu ihrem Leben bezeichnen wird. Wir sehen sie darin am Anfang von Andres Veiels Film und – ein Menschenleben später – die alte Frau, die durch dieselbe Gebirgsgegend noch einmal steigt. Als wolle sie, die 101 Jahre alt wurde und ihr eigenes Jahrhundert überlebte, genauso in Erinnerung bleiben: für immer und ewig.
Veiel hat ihren übergroßen Nachlass studiert und sortiert, was darin vorhanden ist und was darin fehlt, was erinnert und was vergessen werden soll. Und hat bislang Unveröffentlichtes zu Tage gebracht. Etwa von ihr gespeicherte Telefonanrufe und Zuschriften mit positiv unterstützenden Reaktionen, die zugleich Hass und Verachtung formulieren für Riefenstahls Kritiker (als »Schmutzpresse« und »Agitatoren« apostrophiert). Riefenstahl durfte sich bestätigt fühlen – könnte es heute angesichts der politischen Gefahrenlage noch mehr. Erfahren wir etwas Neues? Die bis in die 1980-Jahre Geborenen könnten das alles wissen. Die folgende Generation aber sollte bitte genau hinschauen.
Riefenstahl, Propagandistin des Führerstaats, die von Hitler wie »von einem Magnetismus eingefangen« gewesen sei, war brillanter als der andere Rattenfänger, Dr. Goebbels. Bis zum Schluss beharrt sie darauf, nur das gefilmt zu haben, was jedermann vor Augen hatte: die Wirklichkeit, die Wahrheit, das Objektive.
Sie unterschlägt das Suggestive ihrer Montage (das als Mittel auch Veiel benutzt). Das gilt nicht nur für »Triumph des Willens« über den NSDAP-Reichsparteitag in Nürnberg 1934 (dessen Vorspann sagt: »Im Auftrage des Führers« gedreht) und für die offiziellen Olympia-Filme 1936, die ausgestattet wurden mit einem gigantischen Budget. Darin wollte sie weg von der »Wochenschau-Reportage« hin zu etwas Lebendigem, Dynamischem, Intensivem, von der Schwerkraft Losgelöstem. Die Kamera konnte fliegen, die u.a. Willy Zielke bediente, gegen dessen Einweisung in die Psychiatrie und Zwangssterilisierung sie nichts unternahm.
Begeisterung spricht aus ihr, wenn sie ihre eigenen Bildfolgen und Schnitt-Stellen erläutert und bei »Triumph des Willens« Frieden und Arbeit als einzige Botschaft herausgehört haben will; überhört hat sie das Schwadronieren von Rasse. Aber gewiss hat sie nicht übersehen, was ihre Bilder erzählen vom Einzelnen und der Masse, von Symmetrie, Hierarchie, Harmonie und Ordnung, von Unterordnung und Unterwerfung, von Disziplin, Einschwören auf Gehorsam, Einhämmern der eigenen Erwähltheit, Verführung durchs Führerprinzip. Der Film dokumentiert das Kulthafte, Pomphafte, Autoritäre, Willen-Gestählte, indem sie es inszeniert. Nehmen wir bloß den Anfang von »Triumph des Willens«, der ein Statement ist, während sie bis zu ihrem seligen Ende leugnet, manipulatorisch ans Werk gegangen zu sein: Hitlers Himmelfahrt aus den Lüften hinab auf die Erde, als steige ein Gott hernieder, ein Erlöser wie Lohengrin, teile die Wolken, die sich als gewaltige Schickalmächte türmen, um dann den ekstatischen Volkskörper zu begatten.
Perfektionistin der Selbststilisierung
Wie ihrer Namensschwester Marlene Dietrich, die als Hitler-Gegnerin ihre ideologische Kontrahentin war, konnte ihr niemand was vormachen in punkto Licht und Kamera. Perfektionistinnen der Selbststilisierung.
Unveröffentlichtes Material macht uns zu Zeugen, wenn sie während eines Drehs für ein filmisches Porträt aus der Haut fährt, als sie konfrontiert wird mit Tagebucheinträgen von Goebbels, die ihre gesellschaftliche Nähe zu Hitler und dem Minister hervorheben, was sie vehement bestreitet. Ebenso empört verwehrt sie sich dagegen, dass ihre heftige Reaktion von der laufenden Kamera aufgenommen wurde: »Ich lass mich nicht vergewaltigen«. Das ist ein beklemmender, fragwürdiger Moment: Hier wird die Täterin eben doch auch zum Opfer, verschieben sich Grenzen hin zur Gewalt gegen die Frau und zur Überwältigung. Grenzen, die sie wiederum als Künstlerin und Mensch in ihrem Werk selbst verschoben hat und dabei nicht zimperlich war, sondern skrupellos.
In ihrer Selbstdeutung hat Riefenstahl Kunst und Politik stets strikt voneinander geschieden. Das eine war ihre Bestimmung, das andere ging sie nichts an. Dabei ließ sie keinen Zweifel zu, dass das Schöne, Starke, Junge und Gesunde gleichzusetzen sind. Das bleibt ihr Impuls und ihr Ideal: Geist vom Geist des Biologismus, der vom antiken Hellas bis zum Gardemaß der SS weiterwirkt, auch noch, als sie seit den sechziger Jahren die Nuba im Sudan fotografiert – eine Art Eskapismus aus der für sie deutschen Misere. Mit dabei ist ihr 40 Jahre jüngerer Lebensgefährte und Helfer Horst Kettner.
Den Mythos von der verfolgten Unschuld hält sie aufrecht. Oder: Der Mythos von der verfolgten Unschuld hält sie aufrecht. 1939 soll sie in Polen über den Krieg filmisch berichten. Sie erträgt nicht, was sie sieht, lässt sich von der Aufgabe entbinden. Danach dreht sie »Tiefland«. Für dieses Projekt bekommt sie 50 Komparsen aus einem Lager für Sinti und Roma zugewiesen, darunter Kinder. Viele von ihnen werden in Auschwitz ermordet. Auch hier lügt sie, indem sie behauptet, diese Leute nach dem Krieg wiedergetroffen zu haben. Ihre Akte indes stuft sie nach 1945 als »Mitläuferin« ein.
Haften bleibt von »Riefenstahl« ihre von Empathie freie Kaltschnäuzigkeit, die uns aus Interviews und Talkshows entgegenschlägt und die Veiel noch durch Kontrast betont, indem wir sie u.a. in ihrem blühenden Garten der Villa in Starnberg sitzen sehen oder beim Vögelfüttern im Schnee. Mehr als einmal sagt sie anklagend-klagend: »Man darf heute die Wahrheit nicht sagen.« Der Spruch kommt uns bekannt vor.
»Riefenstahl«, Regie: Andres Veiel, D 2024, 110 Min., Start: 31. Oktober