Es gibt Romane, die werfen alles um. Und es gibt Romane, die bauen auf, rücken zurecht, sind nützlich. So ein Roman ist John von Düffels »Beste Jahre«: Wer Entscheidungshilfe möchte bei der Wahl zwischen dem guten alten Single- Rausch und dem neuen alten Familien-Wohlgefühl, zwischen der Psychologie des Ich- und der Biologie des Elternwerdens – für den bietet dieses Buch bedenkenswerte Argumente. Zwar darf er sich lesend nicht an die Balken demografischer Tabellen lehnen, sondern wird in die Strömung einer fiktiven Geschichte gezogen: der Entwicklungs-, schließlich Verwirrungsgeschichte eines Mannes (namenlos, Anfang Vierzig, Schauspieler); doch fließt dieser Fluss in den Ufern gefestigter Selbstreflexion. Schließlich ist »Beste Jahre« dreierlei: eine glaubhafte psychologische Versuchsanordnung; ein niveauvoller Zeitfragenroman; eine geschehnisreiche Erzählung mit Überraschungsschluss.
»Nicht einmal zwei Generationen habe die westliche Welt gebraucht, um aus einem vitalen Geburtenüberschuss ein existenzgefährdendes Fruchtbarkeitsproblem zu machen.« So hören wir Lisa, die Frau des Protagonisten, die gegenwärtige Vermehrungslage in Deutschland analysieren. Sie hat denselben Beruf, dasselbe Alter wie ihr Mann, der auch Ich-Erzähler genannt werden könnte, wenn er diese Erzählperspektive nicht immer wieder einer auktorialen Instanz überließe – sichtbar ringt hier jemand um seine Position in einer Geschichte, deren Steuerung ihm aus der Hand geglitten ist. Nach Jahren des Suchens nach dem richtigen Beruf, dem tieferen Lebenssinn, der besten Frau war unser namensloser Held an einem großen Theater in Hamburg, in der Ruhe seiner mittleren Jahre sowie einem funktionierenden Zweier-Frieden angekommen. »Passierte ihm etwas, war es ihm meist schon einmal passiert.«, heißt es über das Älterwerden. Und dass dem Paar nicht nur peu à peu etwas verloren ging: die Erotik, sondern auch etwas zuwuchs: die Faszination des Wir – sehr gelungene, klare, kluge Passagen sind dies. Aber dann auf einmal: »Sämtliche Fragen des Ich-, Du- oder Er- Seins stellten sich neu.« Lisa ist schwanger. Und das gar nicht so unverhofft. Die geistige Konzeption des werdenden Kindes, sein Grundriss im Wortsinn war ein Zimmer zu viel in der neuen Wohnung des Paares, das mit »Kinderzimmer « bezeichnet war. Die Hohlform rief immer lauter nach Füllung, das Paar schließlich die Reproduktionsmedizin zu Hilfe. Alsdann erfährt der Leser so einiges über Fortpflanzungsdiagnostik und -therapie; entscheidend aber und die besten Seiten des Buchs füllend ist die Schilderung der Wandlung dieses bereits ganz zu sich selbst gekommenen, mit sich und seinem Leben einverstandenen Mannes vom Profi-Ich zum Anfänger- Wir, vom routinierten Selbstverwirklicher zum dilettierenden Elternteil. Vom Sohn und Vatermörder zum – Vater. Und wie die Welt sich auf einmal neu aufteilt in die mit und die ohne Kinder.
Düffel wäre nicht der Dramatiker, der er (auch) ist, wüsste er nicht um die Notwendigkeit des Störers, sobald das Setting steht. Der heißt »HC« und ist ein alter Jugendfreund – der der immer alles richtig gemacht hat, der den unser Held immer schon geliebt / gehasst hat. Und mit HC kommt von der längst abgelegten Vergangenheit unseres Neuvaters noch mehr zurück ins Spiel: sein alter homosexueller Griechischlehrer Dr. Moosheimer sowie Doreen, eine unerfüllte Liebe aus Stendal, der Stadt des ersten Engagements. Der Erzählfluss mäandriert: Geschichten aus dem Inneren der Schauspielerei erfreuen, Berichte vom äußeren Aufprall West auf Ost langweilen etwas. Durch das immer farbiger werdende Bild des Romans aber drückt sich zunehmend die Konstruktionszeichnung, man begreift, dass es darum geht, mögliche soziale Rollen in Hinsicht auf Elternschaft durchzudeklinieren: schwul; promisk; kinderlos usw. Und dass das Kapitel Doreen nur so breit ausgeschrieben wurde, um die Überraschung gewaltig werden zu lassen, wer denn eigentlich HCs merkwürdig verheimlichte Ehefrau ist. Dass unser schwangerer Vater genau diese Doreen schließlich auch noch schwängern soll, weil sein und ihr HC das nicht kann, und wie dieser Akt vor sich geht, das katapultiert den bis dahin eigentlich gelungenen Roman in ein groteskes Off. Wo er abbricht. Das also soll der tiefere Antrieb von allem gewesen sein: mit einem Zeugungsakt, einem triumphalen Erguss aus Darwin und Freud den ewigen Widersacher HC zu besiegen? Ein Fehlschuss, der Fehlschluss eines bis dahin gelungenen Buch
John von Düffel: Beste Jahre; DuMont Buchverlag, Köln, 246 Seiten, € 19,90