TEXT: GUIDO FISCHER
In Bergen herrscht Schirm-Pflicht. Selbst wenn die Sonne den malerischen Hafen anstrahlt, muss man für den nächsten Schauer gewappnet sein. Bergen gilt als regenreichster Ort Europas. Glücklicherweise gibt es aber in der Stadt an der norwegischen Westküste genügend Möglichkeiten, ins Trockene zu fliehen. Über ein Lepra-Museum etwa führt der Weg weiter ins Hanse-Museum, das von Bergens Geschichte als wichtiger Umschlagplatz im Norden erzählt. Weiter südlich, im Stadtteil Troldhaugen, steht eine schmucke Villa, die an den berühmtesten Sohn Bergens erinnert. Bis zu seinem Tod 1907 lebte hier Edvard Grieg – 22 Jahre lang.
Das Grieg-Museum ist nicht die einzige Verbeugung vor dem Nationalkomponisten. Im Zentrum von Bergen wurde dem kleinen Mann mit dem riesigen Moustache und dem wilden Haarschopf ein Denkmal errichtet. Der 1978 eröffnete Konzertsaal trägt zudem den Namen »Grieghallen«. In dem postmodernen Multifunktions-Bau hat seither das Bergen Filharmoniske Orkester Heimat gefunden. Es vergeht keine Spielzeit, in der nicht mindestens ein Werk von dem neben Jean Sibelius bedeutendsten skandinavischen Komponisten auf dem Konzertprogramm steht. »Schließlich war Grieg der allererste Komponist, der die Volksmusik mit der klassischen Musik verschmolz«, so Andrew Litton.
Der Amerikaner ist seit 2003 Chefdirigent und seit 2005 auch Künstlerischer Leiter des Bergen Philharmonic. Lange galt es eher als ambitioniertes Regionalorchester, bei dem doch immerhin Pult-Heroen wie Eugene Ormandy und Leopold Stokowski gastierten. Obwohl vor ihm namhafte Dirigentenkollegen wie Dimitri Kitajenko und Simone Young hauptamtlich das Potential des Orchesters gefördert und herausgefordert hatten, war es Litton, der den Ruf des seit 1765 bestehenden Klangkörpers mächtig verstärken sollte. Erst unter Litton ruft das Orchester kontinuierlich seine Spielklasse ab.
Das wird auch in den wichtigen Musikzentren wahrgenommen. So gastierte man unter dem jetzigen Chef erstmals im Amsterdamer Concertgebouw und im Wiener Musikverein. Bei ihrer aktuellen Frühjahrstournee durch Deutschland machen die Norweger nicht nur drei Mal in Nordrhein-Westfalen Station, sondern debütieren auch in der Berliner Philharmonie.
Ein Schlüssel zum überfälligen Durchbruch war und ist der enorme Erfahrungsschatz des 51-Jährigen. Bevor Litton nach Bergen wechselte, war der New Yorker zwölf Jahre lang Chefdirigent des Dallas Symphony Orchestra und wurde von den Elite-Orchestern in Chicago, Los Angeles und London gern eingeladen. Das eigentliche Erfolgsrezept des Bergen Philharmonic sieht Litton in der Vielsprachigkeit der Musiker. Aus zwanzig Nationalitäten setzt sich das von ihm als »Mini-UN« bezeichnete Orchester zusammen. Was der Flexibilität des Klangs nur gut tut. »Wenn wir Wagner spielen, klingen wir wie ein deutsches Orchester, bei Tschaikowsky wie ein russisches«, sagt er. Zu ergänzen wäre: Wenn man Grieg spielt, klingt es eben wie ein norwegisches.
Neben Orchesterwerken dieser ehrwürdigen Komponisten-Trias hat man noch ein Stück im Reise-Repertoire, mit dem sich eine weitere Traditionslinie des Orchesters fortsetzt. Es ist das Engagement für die zeitgenössische Musik. Gemeinsam mit dem jungen Percussions-Genie Martin Grubinger spießt man gewissermaßen Mozart surreal auf die Hörner, wenn das Schlagzeug-Konzert »Das war schön!« des Norwegers Rolf Wallin gegeben wird. Was wohl Edvard Grieg von seinem 1957 in Oslo geborenen Landsmann halten würde, der mit dem Musikpreis des Nordischen Rates ausgezeichnet wurde – und von Andrew Litton, seinem Nachfolger am Pult des Bergen Philharmonic Orchestra?
Termine: 27. März Rudolf-Oetker-Halle Bielefeld; 28. März Philharmonie Köln; 29. März 2011 Tonhalle Düsseldorf.