Der Mensch auf Reisen: Manche brechen freiwillig auf, manche zwingen Kriege und Katastrophen zum Aufbruch. In ihrem neuen Stück »Die stille Karawane» loten die in Duisburg lebenden Tänzer und Choreografen Avi Kaiser und Sergio Antonino das Unterwegssein mit allen Höhen und Tiefen aus.
Ort der Premiere ist das Museum DKM in Duisburg, tatsächlich spielt das Stück aber in einem undefinierten Zwischenraum – irgendwo auf dem Weg nach Nirgendwo. Das ist beachtlich, schließlich wurde das Duo gerade für seine ortsspezifischen Arbeiten bekannt: Kaiser und Antonino tanzten an Autobahnkreuzen und in Privatwohnungen, Kirchen und Fußgängerzonen. Es ist ihr Markenzeichen, für jeden Ort eine eigene Sprache zu entwickeln, mit ihren Körpern auf die vorgefundene Architektur oder Landschaft zu reagieren und mit ihr kommunikativ in Verbindung zu treten. Diesmal ist das Setting ein gedankliches Konstrukt.
Das Publikum sitzt links und rechts in einer langen Reihe und bildet damit jene Straße, auf der Kaiser und Antonino unterwegs sind. Sie haben nur dabei, was man dringend braucht und was man unterwegs finden kann: eine Plastikfolie, Besteck und Geschirr, Tragetaschen, Kleidung. Es gibt keine definierte Bühne, keine Scheinwerfer – das Publikum verfolgt sehr nah und intensiv, wie das Paar Hunger und Erschöpfung durchleidet, Regen und Sturm erlebt, Katastrophe und Rettung, aber auch, wie Humor, menschliche Nähe und Wärme Hoffnung geben. Der Soundtrack dieses Roadmovies ohne Räder reicht von Barock bis Bossa Nova – eine poetische und emotionale Berg- und Talfahrt, bei der der Gedanke an das derzeit real stattfindende Geschehen sehr nahe liegt. Kaiser und Antonino rücken uns die Fluchtgeschichten ganz dicht auf die Pelle, wegschauen geht nicht: Alles spielt sich direkt vor unseren Augen ab.
Hommage an Dani Karavan
Unabhängig von aktuellen Krisen und Kriegen behandeln Avi Kaiser und Sergio Antonino das Unterwegssein jedoch als archaisches Motiv: Ist nicht das ganze Leben ein Trip, noch dazu mit unbekanntem Ziel? Am Ende steht dann auch die Erkenntnis, dass es kein Ankommen gibt. Wie im wahren Leben geht es einfach immer weiter, und mit der Reise verändern sich die Reisenden.
Der Titel des Karawane-Stücks ist auch eine Hommage an den 2021 verstorbenen israelischen Land-Art-Künstler Dani Karavan, dessen »Garten der Erinnerung» am Duisburger Innenhafen die Tänzer von ihrem Küchenfenster aus sehen. Es ist ein Lieblingsort, der sie immer wieder neu inspiriert. Dani Karavan hat Fragmente, die beim Abbruch alter Industriegebäude am Innenhafen übrig blieben, inszeniert und ihnen so die Chance auf ein neues Leben gegeben: Kacheln einer Küche liegen wie Pflastersteine am Boden, ein Treppenhaus ist jetzt ein Aussichtsturm. Auch wenn sich die Dinge nicht bewegen können, hat er sie auf eine Reise geschickt. »In Karavans Garten habe ich das Gefühl, auf einem Weg zu sein», sagt Avi Kaiser.
Unterwegs sind beide Künstler tatsächlich viel – Kaiser (Jahrgang 1954) ist gebürtiger Israeli, sein Partner Sergio Antonino (Jahrgang 1974) Italiener. Ihre Karrieren führten die beiden quer durch die Tanz-Welt, ihre Familien leben verstreut in mehreren Ländern, untereinander spricht das Paar Französisch. Das Unterwegs und Dazwischen, es ist ihr eigentliches Zuhause.
18./19. November, 18 Uhr, Museum DKM, Duisburg
Reservierung erforderlich: (0203) 93555470 oder per Mail an mail@museum-dkm.de