Grau, Grauen, Gloom – Schwermut. Dies sind wohl die am häufigsten zu lesenden Worte auf den 25 Seiten der Erzählung. Mehr als ein Begriff, eher eine Bestimmung. Edgar Allan Poe ist in »Der Untergang des Hauses Usher« ein Totenbeschwörer. Hören wir bei »Usher« doch heraus und mit: Ashes to Ashes. In der letzten Zeile liegt das Haus in »Trümmern« – so wie das Leben der drei Figuren, deren eine der Ich-Erzähler ist, die beiden anderen das Zwillingspaar Roderick und Madeline sind.
Dass Barbara Freys Ruhrtriennale mit ihrer Inszenierung der Poe-Novelle beginnt und dass sie diese in der Halle Zweckel situiert als dem intimsten und innigsten Ort des dezentralen Festivals, wird man programmatisch nehmen dürfen. Geisterstunden werden ausgerufen, weshalb der Abend erst spät beginnt und sich in die Dämmerung hinein verdunkelt, die durch die hohen Fenster der Halle einsickert. Umnachtung – im doppelten Sinn. Hölzerne Lamellen hat der Bühnenbildner Martin Zehetgruber den Fensterrahmungen innen vorgesetzt, so dass sich Schneisen, Inseln, gefleckte Flächen und Würfelmuster aus Licht und Schatten bilden und den Spielraum mit seinem großen buckligen Maschinen- und Räderwerk überziehen.
Das letzte Stündlein schlagen zwei Flügel an, als wollten sie das Dies irae anstimmen, bevor die Pianisten abrupt von brausendem Verkehrslärm der Tonspur verdrängt werden. Später rattert das Geräusch eines Zuges herein, krächzen und schilpen Vögel, meldet sich melancholisch das Akkordeon. Das vermodernde, von Pilz befallene Schloss in seiner versteinerten Physis übt Gewalt aus auf die Psyche der Bewohner und ist der vierte, vielleicht der eigentliche Hauptdarsteller von Poes Geschichte. Ebenso wird die Halle in Freys theatraler Verstofflichung zu einem Protagonisten.
Drei Frauen und drei Männer in schwarzen Anzügen drängen sich eng aneinander, als fürchtete jeder für sich das Alleinsein. Später vereinzeln sie sich oder verschmelzen zu kuriosen Doppelexistenzen, teilen sich dreisprachig (deutsch, englisch, ungarisch) in die Erzählrollen, wechseln chorisch ins lautmalerisch Poetische und lyrisch Rhythmisierte oder vermummen sich zu Greisinnen mit Rollator, die beim Wiedersehen einen Todes-Kuss androhen. Die Gruppe der Sechs lauscht dem Gesang des draußen versammelten Ruhrkohle-Chors, der ganz zum Schluss in die Halle einzieht – für eine allerletzte Melodie.
Amnesie und Neurasthenie, Somnambulismus, Trance, Halluzination und Allergien gegen das Leben quälen diese Figuren. Der Natur ist nicht zu trauen, auch wenn die anmutige Debbie Korley ausschert und ein feenhaftes Idyll in einer Textpassage aufleuchten lässt, das aber doch von den Schatten eingeholt und heimgesucht wird.
»Usher« ist zum Synonym geworden für die Schreckenskammern des Unbewussten, die von der deutschen Romantik, der Gothic Novel und den französischen Buketts der Fleurs du Mal bis zu Oscar Wildes »Salome« und weiter in die Filmbildwelten von Friedrich Wilhelm Murnau reichen. Frey nimmt sich aus Poes Prosawerk noch den »Doppelmord in der Rue Morgue«, den in einem Solo Michael Maertens als Grand Macabre auftischt, sowie »Berenice« und implantiert sie in die Dramaturgie der mit Ambivalenzen arbeitenden hoch atmosphärischen Aufführung. Die in die Komik wegtanzende Morbidezza von »Berenice« schraubt sich bei Frey zum Ende hinauf in ein surreal zugespitztes, irres Stakkato der Stimmen und der Stimmung. Wir hören einen ebenso schlimm beklemmenden wie revuehaften Weck- und Warnruf, demnach es besser sei, »Oh my Darling«, vor der Liebe zu flüchten – run away. Indem Barbara Frey diese Schicksalsmelodie für die Poe-Ladies Madeline und Berenice beschwört und wie ein Requiem der Populärmusik gestaltet, gibt sie die Tonart für ihre Ruhrtriennale vor.
Aufführungen: 15., 17. und 19. bis 22. August