TEXT: ANDREAS WILINK
Kurze Unterbrechung eines Arbeitsurlaubs in der Märkischen Schweiz für unser Treffen in der »Café Einstein«-Villa im alten Westen von Berlin. Maria Schrader wirkt, obgleich ganz in Schwarz, sommerlich leicht. Außen wie innen. Gar nicht einfach, in dieser Stimmung aufs Tragische zu kommen. Überhaupt bleibt das vorbereitete Interview-Konzept weitgehend unbeachtet. Maria Schrader redet, ohne dass man lang’ fragen müsste. Dabei lassen die braunen Augen ihr Gegenüber nicht los.
Zufälle gibt’s. Es ist der gleiche Marmortisch, an dem sie mit Karin Beier gesessen habe, als beide sich vor ein paar Jahren hier verabredet hatten, um ihre Zusammenarbeit am Kölner Schauspielhaus zu besprechen.
Vermutlich ist Maria Schrader die seit Hanna Schygulla und Barbara Sukowa eigenwilligste Frau des deutschen Films – und eine großartige Theaterschauspielerin. In Köln hat sie es u.a. in zwei Beier-Inszenierungen gezeigt, darunter als Grillparzers Medea. Jetzt wird sie, zur Eröffnung der Düsseldorfer Schauspielsaison, Amélie Niermeyers Intendanz-Finale aufwerten: als Arkadina in »Die Möwe«.
Tschechow mit Almodóvar-Anteilen, eine Frau, die sich in der Gewalt haben, die Façon bewahren muss, zugleich am Rande des Nervenzusammenbruchs balanciert, viel Aufhebens von sich macht und den süßen Vogel Jugend davonfliegen sieht. »Ja, total«, stimmt Schrader zu, das »Komödiantische, Überkandidelte« lasse sie auch heraus.
Arkadina kann Bühnenexistenz und private life nicht auseinander halten. Sie liebt einen Mann, den Schriftsteller Trigorin, und muss sehen, wie der einer Jüngeren, der »Möwe« Nina, Avancen macht und aus deren Unschuldsfrische Kapital und Material für sein literarisches Werk zieht. Sie ist eine schlechte Mutter für den sensiblen Sohn Kostja, in dessen jung- und wilddramatischen Versuchen sie zudem Konkurrenz in der Deutungshoheit fürchtet über das, was Theater bedeutet.
Eine berühmte Schauspielerin (Schrader) spielt eine berühmte Schauspielerin (Arkadina), die nie die Pose der Zelebrität ablegt und wenn sie eine Szene im Kasten und großes Drama gegeben hat, Knall auf Fall umschalten kann. Ist das ein Thema? Schrader schaut, als sei ihr der Fetisch Prominenz suspekt. Wohl beschäftige sie sich damit, wie erfolgreich denn Arkadina überhaupt sei mit ihren Provinzauftritten. »Und doch ist das auch wieder nicht wichtig. Das Sosein ist eben eine Persönlichkeitsfrage.« Einerseits sei Arkadina »wahnsinnig ängstlich und verunsichert und zugleich ein Wesen, das in den Zaubertrank gefallen sein muss«. Tough wie Obelix. »Die können immer noch, mit all ihrer Energie, das macht diese Menschen so anstrengend.«
Von einer Zeitung wurde sie mal gefragt, wer denn bei der Verfilmung ihres Lebens fürs Kino die Rolle der Maria Schrader spielen solle? Wunschkandidatin von Schrader für Schrader sei: Jeanne Moreau. Das ist eine Aussage! Die Muse der Nouvelle Vague. Profil: sinnlich und intellektuell, mondän, überlegen. Aura. Auch Glamour. Der Nimbus von Instinkt und Charakter. Kultiviert. Rebellisch. Autonom. Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau … Wenngleich der potenzielle Besetzungs-Coup ein Scherz ist, so doch einer, in dem sich neben Sinn für Humor Selbstbewusstsein spiegelt, das sich an der Berliner Spree schwieriger behaupten lässt als an der Pariser Seine.
Schraders Figurenfamilie als Darstellerin, Autorin und Regisseurin fügt sich zu einer Ausbuchstabierung eigener Obsessionen, Stärken und Schwächen, Charakterfarben und seelischer Momentaufnahmen.
Wickeln wir es von hinten auf, beginnend mit »Liebesleben«. Bei Schrader hat es geklickt, als sie Zeruya Shalevs Roman las. Sie ging mit der israelischen Autorin und deren Bestseller auf Vortragsreise – und verfilmte 2007 in Jerusalem die amour fou zwischen einer jungen Frau und einem älteren Mann, den mit Jaras Eltern ein geheimes Band verbindet. Jara (Netta Garti), der Schrader eine lauernde, flatternde, abrupte Intensität entlockt, wirft sich radikal in die Begegnung. Koste es, was es wolle: ihre Ehe, die trügerische Ruhe des Elternhauses, Studium, ihr bisheriges Ich.
Unschwer vorstellbar, dass und wie Schrader diese Jara selbst gespielt haben könnte. Sie besitzt ein Sensorium fürs Tragische, fühlt die Schwere des Maßlosen. Schicksal, Notwendigkeit, Unausweichlichkeit? »Ja, das sind Begriffe für mich«. Die antike Medea, die Fremde, Verlassene: für sie eine in ihrer Unbedingtheit vertraute Persönlichkeit? »Ich war zu der Zeit unglücklich genug, um Medea zu spielen. Man muss seinen Rucksack offen haben, um so etwas herauszuholen.«
Maria Schrader sagt und stellt Dinge gern klar. Auch das Absolute kriegt Anbindung ans Konkrete. Das Wolkige ist nicht ihr Element.
»Es ist aus«, lautet die Formel geendeter Liebe, die auch der Argonaut Iason gegen die Kolcherin Medea wendet. Wie deren Beziehung von Beier in Grillparzers »Das Goldene Vlies« (Premiere war 2008) durchleuchtet wird, zeugt von erstaunlicher Modernität und Normalität. Es braucht weder mythisches Gepräge noch aktualisierend politische Klügelei. Aus der Keimzelle der Zweierbeziehung gebiert sich die Tragödie: hier eine kleine Ungeduld, mit der jemand einen anderen preisgibt, dort eine Gereiztheit, an der die Versöhnungsbereitschaft des Partners aufläuft und mit einem falschen Wort oder einer winzigen Geste von Ungehaltensein beantwortet wird.
Wie Medea die Erfahrung der Ausgrenzung aushalten muss, zeigt Schrader auf überwältigende Weise. Reflektiert und klar bei Verstand, hat sie sich in ihrer Gewalt und wird doch überwältigt. Das »Märchen ihres Lebens« liest sie wie einen fremden Text. Medea, in der ein schroffer Wille wohnt, legt einen langen Weg zur unsagbaren Mordtat an ihren Kindern zurück, gefasst und fassungslos zugleich, bei sich und außer sich. Einer Frau wie ihr zu begegnen, ist Schrecknis und Privileg.
Das war schon so als unbändige, rachelodernde, dabei anmutige Kriemhild in Hebbels »Nibelungen«, der ersten Arbeit mit Karin Beier, vor der Domkulisse zu Worms (»wir fühlten uns wie Gladiatoren gegenüber 2.000 Zuschauern«). Die blonde Mythen-Maid als dunkler Engel. Die Kraft der Liebe kann Hass gebären. Kriemhild scheitert, wie Medea. Oder aber die Liebe überwindet Widerstände. In dem Film »Aimée und Jaguar« scheint für einen Moment Glück möglich. In Dani Levys und Schraders »Meschugge« ebenfalls.
Dafür aber erst mal auf Anfang! Maria Schrader stammt aus einem künstlerisch geprägten, offenen Elternhaus in Hannover. Früh traf sie die Entscheidung, Schauspielerin zu werden: »Ich war ein richtiger Snob, es gab nur das Theater, Fernsehen war verachtenswert.« Aber der Weg verlief nicht mustergültig. Konsequenz und Außerkraftsetzen der Regel gehören bei ihr anscheinend zusammen.
Sie zog noch vor dem Abitur nach Wien, studierte am Reinhardt-Seminar, machte »wildes Zeug« mit dem freien »Beinhardt-Ensemble« (zu dem auch Sophie Rois gehörte). »Es gab vieles, was in diese drei Jahre passte«. 1986 brach sie die Ausbildung ab – den Abschluss hat sie nachgeholt – und vertauschte Wien mit Berlin: »Es war tatsächlich eine Art von Flucht« und geschah der Liebe wegen, nachdem ihr der Filmemacher Dani Levy über den Weg gelaufen war. Berlin hieß: WG mit Levy und Leuten aus dem sozial engagierten »Rote Grütze«-Theater. Ins linke Kollektiv platzte das fremde Fräulein: »Ich kannte das gar nicht, vieles mochte ich auch nicht.«
Mit Levy begann eine für ihre Profession ungewöhnliche berufliche Entwicklung: nicht bloß Objekt zu sein und Geliebte der Kamera. Ab dem ersten (von sechs) gemeinsamen Filmen, »RobbyKallePaul«, war sie am Formen und Formulieren der Rolle beteiligt: »Ich hab’ jeden Schritt mitgemacht und war künstlerisch komplett monogam, neun Jahre lang«. Das eindrücklichste Ergebnis heißt: »Meschugge«. An diesem »Schmerzens- und Glückskind« hat das Paar acht Jahre gebastelt. Der Film, der 1998 ins Kino kam, handelt von deutsch-jüdischer Identität, der Erblast Familie, Vergangenheit und Gegenwart, Wahrheit, Lüge, Schuld und Irrtum und davon, dass zwei Menschen, Lena und David (Schrader / Levy), gegen deren Liebe alles spricht, dennoch zueinander finden können.
Als 14-Jährige ist Maria Schrader für mehrere Wochen in Israel in einem Künstlercamp gewesen; in den Schulaustausch habe ihr Vater, Lehrer und Maler, sie »reinprotegiert«. »In diesem Sommer hat meine Kindheit aufgehört. Alles war anders. Es hat mich durcheinander gebracht.« Der Aufenthalt beförderte auch den Schauspielwunsch.
Die Verbindung zum Jüdischen begleitet ihre Biografie. Da ist der Schweizer Jude Dani Levy, der Stoff von »Meschugge«, der Film »Liebesleben« und auch »Rosenstraße«, gedreht mit Margarethe von Trotta. Den Auslöser sieht sie in ihrem Vater, der nahe Bergen-Belsen aufwuchs, ein Sozialdemokrat, den die Fragen nach 1945 nicht losließen. Tochter Maria ähnelt ihm, auch äußerlich. »Das gleiche krause Haar.« Eine fremde Erscheinung. »Hier war ich stets Exot. In Israel spricht man mich auf Hebräisch an.« Als eine der Ihren. Außenseiter unter Außenseitern: eine Form praktizierter Normalität.
Noch so ein Sonderfall: »Aimée und Jaguar«. Max Färberböcks Film nach einer wahren Begebenheit schildert eine Liebe in den Zeiten der Gefahr – lesbisches Gegenleben in Nazideutschland. Maria Schrader als Garçonne – tödlich gefährdet, absolut in ihrem Verlangen nach Leben und Liebe – verführt eine brave blonde Hausfrau und Mutter (Juliane Köhler), die kaum weiß, wie ihr geschieht. Es ist, als wäre diese Felice Schargenheim unsichtbar, so geht sie durchs braune Berlin. Carpe noctem. Anmaßend, vibrierend ist diese Felice alias Jaguar: eine »die Blumen pflückt am Rande des Abgrunds«.
Schauspielen heißt für Schrader »nicht verkleiden, sondern entkleiden«. Mit dem Kollegen erlebe man etwas Ungeheures, Intimes, Peinliches, Enthüllendes. »Man erkennt sich. Nicht unbedingt so, wie man jemand kennen lernen möchte, den man liebt. Es ist viel rapider, ohne das Wachsen von Vertrautheit. Privat erfordert das lange Probezeit. Ich würde das keinem Liebespaar empfehlen.« Kriemhild, Medea, Arkadina bleiben besser in der Tabuzone.
Mit Chaos und Unordnung kennt Schrader sich aus, seit Wien, Berlin, Jerusalem. Im Unterschied zu Schizophrenen würden Künstler, habe ihr kürzlich ein Experte erläutert, daraus etwas Hedonistisches ziehen, nicht nur das Beängstigende und Einschränkende wahrnehmen.
Lässt sich der Kontrollverlust kontrollieren? Der Romy-Schneider-Komplex, dass jemand alles auf der Leinwand kann, aber nichts im Leben, sagt ihr das etwas? »Es kann vorkommen, dass sich nach Wochen der Proben ein schwarzer Vogel über einen senkt, man zum Gefangenen seiner Arbeit wird. Da muss man zusehen, im Führerhäuschen zu bleiben.« Rettung liegt manchmal im Pragmatischen.
Maria Schrader, geb. 1965 in Hannover; ihre 1998 geb. Tochter Felice stammt aus der Verbindung mit Regisseur Rainer Kaufmann; Studium am Max-Reinhardt-Seminar Wien; Zusammenarbeit mit dem Regisseur Dani Levy; Filme u.a. mit Doris Dörrie, Max Färberböck, Margarethe von Trotta; Theater u. a. in Basel, Hamburg, Köln; Regie: »Liebes-leben« (2007); Auszeichnungen: Bundesfilmpreis, Bayerischer Filmpreis, Silberner Bär, Max-Ophüls-Preis.
Premiere: »Die Möwe«, 18. September, Düsseldorfer Schauspielhaus, Große Bühne Central