Vor 21 Jahren, als ihr Album »Neon Golden« erschien, war The Notwist die aufregendste deutsche Indie-Band und hatte das schönste, jüngste (und in Teilen nerdigste) Publikum. Schön und nerdig wirken die Fans im ausverkauften Bahnhof Langendreer Bochum immer noch, aber sind jetzt mit ihren Idolen in ein Alter gekommen, wo eine Besucherin bei den ersten tiefen Basstönen sagt: »So hat das heute Morgen im MRT auch geklungen.«
Die Wende Richtung großem Erfolg schafften The Notwist, als sie ihren Gitarren orientierten (Punk-)Rock in Richtung Elektronik erweiterten. Noch zur Zeit von »Neon Golden« wirkten sie so wie eine Rockband, die einen genialen Soundtüftler an Samplern und Synthesizern dabei hatte: Martin Gretschmann alias Console. Heute sind bei The Notwist alle Soundtüftler und wenn man sich das schöne Bühnenbild im Bahnhof Langendreer anschaut, dann kann man sich gut vorstellen, wie die Grundbesetzung um die Brüder Markus und Micha Acher im Studio im oberbayerischen Weilheim an neuer Technik bastelt und an neuen Klängen feilt.
Fast alle Instrumente sind irgendwie mit Elektronik gekoppelt, überall liegen Kabel, kleben Tapes, leuchten Laptops und andere Geräte. Die Musiker spielen so nicht nur Saiten, Tasten oder Schlagwerk, sondern drehen auch Knöpfe, drücken Schalter oder schieben Regler. Ein Ruhepol im siebenköpfigen Live-Ensemble ist das jüngste Mitglied Theresa Loibl, die meistens einfach nur Bassklarinette und manchmal Harmonium spielt.
Der Sound, den The Notwist auf diese Art zusammentüfteln, überzeugt heute wie damals. Was viele aktuelle Bands versuchen, gelingt ihnen mit Leichtigkeit: Die perfekte Symbiose aus instrumentalen und elektronischen Klängen. Einen organischen, fließenden und oft euphorisierenden Sound, über dem als Kontrapunkt immer der melancholische, zerbrechliche Gesang von Markus Acher liegt. Stücke wie »Loose Ends« und natürlich die Hits von »Neon Golden« wie »One With The Freaks« oder »Pick Up The Phone« steigern sie von Höhepunkt zu Höhepunkt und lassen dabei kaum Zeit für Applaus, der sich dann umso stärker entlädt, wenn er einmal darf.
Die zweite Zugabe endet mit dem Kleinod »0-4«, bei dem fast nur noch das Vibraphone das Sagen hat. Ein Zuschauer ruft in die kurze Stille vor dem letzten Applaus: »Ihr seid toll!« – und bringt damit die vergangenen zweieinhalb Stunden auf den Punkt.