TEXT: ANDREAS WILINK
Was ist schöner und schlimmer als »2 Tage Paris«? Die Antwort fällt leicht: »2 Tage New York«. Julie Delpy blättert ein paar Seiten in ihrem Familienalbum weiter, exakt fünf Jahre. Die Frage, was daran fiktiv oder womöglich aus der eigenen Bografie abgeschrieben ist, macht so viel Sinn, wie wenn man sie Woody Allen stellen würde. Wie überhaupt der Film einerseits an dessen neurotische Manhattan-Phase erinnert, andererseits an die Komödien von Spike Lee. Aber Delpy trifft durchaus einen eigenen Ton und hat Stilsicherheit entwickelt, der man die zehn Jahre seit ihrem Regie-Debüt anmerkt. Natürlich ist »2 Tage New York« auch ein Sequel, gewissermaßen die Retourkutsche des Besuchs von Marion bei ihren Eltern in Paris und dem Putsch der Herzen.
Am Anfang und Ende bringt sie uns mit einem Puppenspiel, aufgebaut für den lieben Nachwuchs, auf die Höhe des familiären Diskurses. Marions Mama ist mittlerweile gestorben, von Jack hat sie sich getrennt und lebt nun im Patchwork-Look (zwei Kinder aus verschiedenen Verbindungen) mit dem Journalisten Mingus (Chris Rock), der der Geschichte eine andere Farbe gibt: nicht nur, weil er schwarz ist, sondern weil er staunend, abgeklärt, cool, vernünftig und mit trockenem Humor kommentiert, was mit der Ankunft von Marions Vater (Albert Delpy), der das halbe Jahrhundert von Indochina über Algerien bis zu den Mai-Unruhen auf dem Buckel trägt, ihrer Schwester Rose und deren Freund Manu über ihn an White Power-Trash hereinbricht. Anlass der Visite ist Marions konzeptuelle Foto-Ausstellung in einer Galerie. Diese Marion (Delpy selbst) ist eine Art modernisierter Diane Keaton in ihrer flatternden Unruhe, als würde sie sich ständig den zu sehr ausschlagenden Puls messen.
Was folgt, ist als Kulturschock die Umkehrung gewohnter Verhältnisse: Die Franzosen sind die Barbaren, vulgär, frivol, lüstern, gefräßig, ignorant, unmanierlich, so dass der entsetzte Mingus von ihnen bis in den Traum hinein verfolgt wird, wo die Drei die Gestalt von Aristokraten des Ancien Régime annehmen. Der dem Klischee nach weniger kultivierte Afroamerikaner hingegen weiß, was sich für Puritaner gehört: Solidität, keine Drogen, Sex nur diskret; politisch ist er helle und hält gern Zwiegespräch mit »seinem« Präsidenten, wie einst Woody Allen mit dem Bogart aus »Casablanca«.
Delpy inszeniert die Konfusionen um Kindererziehung, den Kunstszene-Frust, familiäre Kräche und Ich-Krisen manchmal wie eine Fotoroman-Strecke, die mal von Robert Doisneau, mal von Diane Airbus inspiriert sein könnte. Sie hat Selbstironie, Leichtsinn, Spaß bei der Sache und hübsche Einfälle wie den, Marion im Central Park eine Taube aus misslicher Lage befreien und dann den Vogel seinen Kot auf diejenigen fallen zu lassen, die es nicht besser verdient haben.
»2 Tage New York«; Regie: Julie Delpy; Darsteller: Julie Delpy, Chris Rock, Albert Delpy, Alexia Landeau, Dylan Baker; USA 2012, 90 Min.; Start: 5. Juli 2012.