TEXT: ANDREJ KLAHN
Hinter den Schaufenstern: die leer geräumten Bühnen der Warenwelt. Türkis bezogene Regale ohne Auslagen, arbeitslose Holzständer, eine rotweißkarierte Decke, auf der nichts mehr feilgeboten wird. Aufgenommen irgendwann Anfang der 1970er Jahre, als Bettwarengeschäfte Leopardenfellbezüge verkauften, der Damen-und-Herren-Modeladen um die Ecke noch den Nachnamen seines Inhabers trug und die verkaufsfördernden Sätze auf den handschriftlich ausgeschwungenen Hinweisschildern linealgerade rot unterstrichen wurden. Tief blicken lassen diese Bilder nicht. Die Scheiben schützen den Raum hinter dem Glas. Wie Spiegel, auf denen deutlich Candida Höfer zu erkennen ist: mit wuscheliger Schafswoll-Jacke, eine kleine Tasche über die Schulter gehängt, linke Hand am Auslöser, rechte am Objektiv. Und wäre das nicht der Fall, man könnte kaum glauben, dass Candida Höfer diese Aufnahmen vor vier Jahrzehnten gefertigt hat. Denn nichts weist in diesen Schaufenster-Selbstporträts auf die nüchtern austarierte, großformatige Opulenz, die die meist menschenleeren Raumanordnungen Candida Höfers später so unverwechselbar machen wird.
Düsseldorf, so heißt die rund 70 Arbeiten umfassende Ausstellung, die das Museum Kunstpalast der 1944 in Eberswalde geborenen, in Köln lebenden Fotografin ausrichtet. Sie selbst habe den Titel für sich in Anführungsstriche gesetzt, schreibt Candida Höfer im Katalog. Das klinge weniger nach Reiseführer. Aber es gebe noch einen anderen Grund dafür: Düsseldorf stehe nicht nur für einen Ort, sondern auch für eine bestimmte Zeit, die Jahre ihrer Formation und Anfänge. Denn nachdem Candida Höfer auf Anraten Otto Steinerts zunächst in Köln das Handwerk der Fotografie in einem Foto-Studio gelernt, danach eine Ausbildung an der Kölner Werkschule abgebrochen und zwei Jahre lang in Hamburg mit der Kamera Fuß zu fassen versucht hatte, schrieb sie sich 1973 zum Studium an der Düsseldorfer Akademie ein – zunächst für Film; die heute berühmte Fotoklasse Bernd Bechers sollte erst drei Jahre später ins Leben gerufen werden.
EIN FRÜHER FILM DER FOTOKÜNSTLERIN
Aus dieser frühen Akademiezeit datiert ein gut vierminütiger 16 mm-Film, den Candida Höfer 1975 zusammen mit Tony Morgan gedreht hat, benannt nach dem Ort, an dem er spielt: dem Eiscafé »da forno«. Nacheinander setzen sich die beiden angehenden Filmemacher an ein marmornes Bistro-Tischchen, um vor einer halluzinogen-geblümten Motiv-Tapete einen Cappuccino zu trinken. Sie zuckert, er löffelt ausgiebig herum. Und obwohl Candida Höfer dieser Auftritt ganz offensichtlich Spaß gemacht hat, lässt er doch ahnen, dass sie sich schon damals lieber hinter als vor der Kamera gesehen hat.
Die Menschen aber sollten erst später aus ihren Bildern verschwinden. Über mehrere Jahre arbeitet Candida Höfer in den 1970er Jahren an ihrer Serie »Türken in Deutschland«. Sie fotografiert in der Manier einer Fotoreporterin türkische Männer auf öffentlichen Plätzen, bei der Arbeit oder auf dem heimischen Sofa sitzend, schlafende Frauen, Familien im Park und Mädchen im Wohnzimmer. Den durch die Arbeits-migration gewandelten Alltag in der bundesrepublikanischen Gesellschaft wollte sie in Farbe und in Schwarzweiß festhalten. Mit einer Diaprojektion der Serie bewirbt sie sich dann für den Klassenwechsel innerhalb der Akademie und nimmt 1976 zusammen mit Axel Hütte und Thomas Struth das Studium beim frisch berufenen Foto-Professor Bernd Becher auf, der sie zunächst vergeblich von der Plattenkamera zu überzeugen versucht.
KIRMES UND LOU REED
Teils noch nie öffentlich gezeigte Bilder aus frühen Serien finden sich zahlreich in der Ausstellung. Nicht chronologisch gehängt, sondern von Höfer selbst mit Aufnahmen jüngeren Datums zu Projektionen und Bildgruppen angeordnet. Da begegnet eine Kirmes-Szene schnappschussartig anmutenden Aufnahmen von der Galopprennbahn, gefolgt von der Außenansicht eines Imbisses und dem Innenraum eines Waschsalons.
Auch in den Konzerten von Lou Reed und Roxy Music hatte sie die Kamera dabei, um eigenwillig unscharfe Bilder von Sängern und Scheinwerfern zu machen. Dann wieder Schwarzweiß-Aufnahmen, die Anfang der 1980er Jahre im ehemaligen Wartsaal des Düsseldorfer Hauptbahnhofs entstanden sind, und die genauso wie die Bilder aus dem Eingangsbereich der Deutschen Oper am Rhein ahnen lassen, dass der Raum als solcher zunehmend wichtiger werden wird für Candida Höfer. Wenngleich hier die Menschen noch geduldet werden, als Aufbrechende und Ankommende, als vorübergehende Gäste.
Aus den später gefertigten, meist gemäldegroß abgezogenen Aufnahmen symmetrisch ausbalancierter öffentlicher Räume werden sie dann verschwinden: aus dem samtuös rot eingerichteten Zuschauersaal der Rheinoper genauso wie aus dem holzhöhlenartig verkleideten Parkett des Schauspielhauses.
Obwohl konzeptuell weniger streng als ihre Lehrer, wirkt der dokumentarische Impuls Bernd und Hilla Bechers unter den Absolventen der Foto-Klasse im Werk Candida Höfers vielleicht am stärksten nach. Bernd Becher bezeichnete seine Archivierung der zu anonymen Skulpturen erklärten industriellen Funktionsbauten gerne als archäologisches Projekt. Ob Candida Höfers Aufnahmen bürgerlicher Kulturtempel irgendwann einmal eine vergleichbare Funktion haben werden, ist eine offene Frage. Doch auch ein vollends leeres Parkett kann ein prachtvoller Anblick sein – wenn Candida Höfer es fotografiert.
Candida Höfer: Düsseldorf, bis zum 9. Februar 2014 im Museum Kunstpalast, Düsseldorf. www.smkp.de