Sie ist acht Kilometer lang und ihr Erfinder nennt ihr Konzept »supergreen«. Sie umfasst 30.000 Pflanzen und für Düsseldorf ist sie das wohl größte städtebauliche Projekt seit der Nachkriegszeit: Gemeint ist der Umbau des Kö-Bogens II durch Christoph Ingenhoven, der ein Geschäfts- und Bürogebäude mit einer riesigen Hainbuchhecke verkleiden ließ. Sieht so die Zukunft unserer Städte aus? Neu ist die Verbindung von Architektur und Grün jedenfalls nicht. Wer wüsste das besser als der Kunsthistoriker Stefan Schweizer, der nicht nur Standardwerke zur Gartenkunst mitgeschrieben hat. Sondern gerade auch auf Schloss Benrath eine Ausstellung über Hängende Gärten kuratiert.
kultur.west: Herr Schweizer, seit wann gibt es in NRW eigentlich öffentliche Parkanlagen?
SCHWEIZER: Eine der ersten war der 1769 angelegte Hofgarten in Düsseldorf. Um 1800 sind dann in allen großen Städten die Wehranlagen geschleift und in Parks und Promenaden umgewandelt worden – solche Grünringe gibt es in ganz Europa.
kultur.west: Welche Rolle haben Parks damals für ihre Besitzer gespielt?
SCHWEIZER: Herrschaftliche Gärten erforderten Grundbesitz, den man nicht für Forst- oder Agrarwirtschaft benötigte. Das Ganze war eine Beherrschungsgeste in zweifacher Weise: Einmal, um seinen eigenen Besitz zu demonstrieren. Dann, weil man die Natur zu beherrschen vorgab.
kultur.west: Viele historische Parkbilder gehen heute allerdings auch verloren, weil die Pflanzen die Trockenheit und Hitze nicht überstehen.
SCHWEIZER: Das stimmt, die Frage ist also: Wie gehen wir mit neuen Pflanzen, aber auch neuen Schädlingen um? Zudem bereiten Parks den Kommunen durch ihre Unterhaltskosten Probleme. Viele Gartenämter sind bis zur Blutleere geschröpft worden. Da ist Düsseldorf noch relativ gut aufgestellt. Schauen Sie sich mal die Grünanlagen in Köln an – dass da noch etwas blüht, ist allein der Natur zu verdanken.
kultur.west: Wie groß ist der Druck, dass die Stadtentwicklung das Grüne mittlerweile stärker mitdenken muss?
SCHWEIZER: Ja, wir sind jetzt an einem Punkt, an dem die Maßgaben der autogerechten Stadt beerdigt werden. Wir haben einen regelrechten Fahrradboom, der auch den Verkehr in den Innenstädten verändern wird. Das bedeutet, dass auch Verkehrsflächen frei werden, die wir schon deshalb begrünen sollten, um dem Klimawandel effektiv zu begegnen.
kultur.west: Sie haben gerade ein Buch über »Die Hängenden Gärten von Babylon« veröffentlicht. Es zeigt, dass die enge Verbindung von Architektur und Grün nicht erst seit gestern existiert. Was macht diese Form von Garten so besonders?
SCHWEIZER: Die Hängenden Gärten der Antike haben zum ersten Mal auf engstem Raum Architektur und Grün miteinander verknüpft. Ein Garten in der Stadt, dazu noch in der Wüste – das hatte etwas Utopisches, Exklusives und galt dann ja auch als eines der sieben Weltwunder. Die Hängenden Gärten wurden deshalb zu einem Vorbild für spätere Versuche der Gartenarchitektur, Natur in die Stadt zu holen.
kultur.west: Erst kürzlich ist die begrünte Hainbuchhecke von Christoph Ingenhoven am Düsseldorfer Kö-Bogen II fertiggestellt worden. Ist sie auch ein Hängender Garten?
SCHWEIZER: Partiell, weil man sie nicht betreten kann. Es gibt zwar eine begehbare Liegewiese. Aber an sich ist das Konstrukt eine reine Sichtverblendung.
kultur.west: Dass die Hecke Teil eines Büro- und Geschäftsgebäudes ist, passt gut in unsere veränderte Arbeitswelt. Auch Apple oder Google haben im Silicon Valley Parks in ihre riesigen Firmensitze integriert. Warum?
SCHWEIZER: Weil so etwas auch schon Ludwig XIV. gemacht hat – als Ausdruck von Herrschaft, wobei heute ein herrschaftlicher Umgang mit Natur und Landschaft von ökologischen Floskeln begleitet wird. Natürlich ist ein gesunder, menschenfreundlicher Arbeitsplatz auch Teil eines veränderten Personalmanagements. Wer gute Leute haben will, muss einen entsprechenden Arbeitsplatz vorhalten. Andererseits geht es auch hier wieder um eine Selbstbeschreibung: Schaut her, wir sind nachhaltig und umweltbewusst. Im Grunde genommen gibt es den Typus von Unternehmensgrün aber auch in NRW schon lange – zum Beispiel beim ERGO-Bau in Düsseldorf oder ganz aktuell bei der neuen Zentrale der Ruhrkohle AG auf der Zeche Zollverein in Essen – in beiden Fällen übrigens mit begrünten und begehbaren Dächern.
kultur.west: Die Ingenhoven-Hecke wirkt massiv, wie eine riesige Wand. Finden Sie das Projekt gelungen?
SCHWEIZER: Ich finde, sie ist als Geste zu verstehen. Der Platz war vorher entsetzlich, eine peinliche Brache mitten in Düsseldorf. Das ist jetzt repariert. Ich finde die Idee, das Schauspiel- und Dreischeibenhaus mit dieser Grünfassade zu konfrontieren und dann noch so unmittelbar am Hofgarten, eigentlich ganz gut. Es hängt ein bisschen davon ab, wie gut der Ort jetzt bespielt und gepflegt wird. Aber ich mache mir schon Hoffnung, dass es ein Ort mit hoher Aufenthaltsqualität wird. Mir gefällt, dass das Theater als eminenter Verhandlungsort von öffentlichen Interessen so in Szene gesetzt wird. Und ich glaube, dass Passanten, die vorher dort niemals hingegangen wären, es jetzt tun.
kultur.west: Lange Zeit hat es einen Schlüssel gegeben, nach dem festgelegt war, wie viel Geld bei großen Projekten in Kunst am Bau fließen muss. Gibt es so etwas eigentlich auch für den Anteil von Grün?
SCHWEIZER: Nein, dafür ist das Bausegment zu kostendeckungsintensiv. Da wird jeder Quadratzentimeter ausgehandelt. Gleichwohl wäre es wichtig, die Städte grüner zu machen und natürlich auch den Wohnungsbau. In unserem Museum zeigen wir einen Wohnkomplex aus Singapur, in dem es nicht nur Geschäfte, sondern auch Gemeinschaftsgärten gibt. Solche Orte, an denen man sich treffen kann, aber auch Fassadenbegrünungen und Dachgärten müssten von den Kommunen stärker eingefordert und gesteuert werden. Stattdessen entstehen sogar im hochpreisigen Bereich Wohnkomplexe, die multifunktionale Grünanlagen nicht mal im Ansatz mitdenken. Zuletzt ist eine Upper-Class-Architekturwelle über Düsseldorf gegangen, mit mehreren Tausend Wohnungen, fast ohne sinnvolle, das heißt nachhaltige, klimaneutrale Begrünung. Völlig aseptische Retorten-Architektur. Die Stadt muss Planungshoheit zurückgewinnen und den Investoren Bedingungen diktieren.
kultur.west: Und was kann jeder einzelne tun – wie sieht die Gartenkultur der Zukunft aus?
SCHWEIZER: Bei Mc Donald’s gibt es ein Fruchtpüree, der als Obstersatz verkauft wird. Wer solche Produkte anbietet, macht Obst zu einem Industrieprodukt, für das es scheinbar keiner Gärten mehr bedarf – Naturentfremdung 4.0. Was uns fehlt, ist eine wertebewusste Ernährungsindustrie, die Produkte so wenig wie möglich denaturalisiert. Es gibt immer weniger Schulgärten, NRW hat keine Gartenakademie wie andere Bundesländer, die Wissen um die Kultivierung von Pflanzen, von Obst und Gemüse vermittelt. Es geht also auch darum, dass unser Essen wieder diverser wird. Die Produktpalette im Supermarkt ist durch den Optimierungswahn bei Obst und Gemüse immer kleiner geworden. Wir benötigen jedenfalls kluge, breitgestreute gartenkulturelle Konzepte, um weiteren Verlusten in der Zukunft vorzubeugen.
Stefan Schweizer kam 1968 in Eisenach zur Welt und ist wissenschaftlicher Vorstand der Stiftung Schloss und Park Benrath in Düsseldorf. Zudem hat er eine Honorarprofessur an der Heinrich-Heine-Universität. Ein Rundgang durch die Ausstellung über »Die Hängenden Gärten von Babylon« ist auf der Homepage des Museums abrufbar, der Begleitband ist im Wagenbach-Verlag erschienen: