TEXT: ANDREAS WILINK
»Thor, warte!«, ruft eine Stimme hinter ihm her. Aber der Junge hört nicht, sondern begibt sich aufs Eis, bis die Scholle schwankt und er im kalten Wasser versinkt. Das Kind wird gerettet und soll dem Vater versprechen, künftig solche Risiken nicht mehr einzugehen. Thor aber presst die Lippen zusammen – und schweigt. Ein Schnitt beendet diesen ahnungsvollen Prolog und überspringt 17 Jahre. Wieder hält Thor Heyerdahl den Mund fest verschlossen, diesmal für ein Gruppenfoto mit polynesischen Eingeborenen. Er und seine Frau Liv sind auf der Insel Fatu Hiva, wo der Forscher angesichts kultureller Traditionen, ihrer Bilder und Mythen seine frappierende Theorie entwickelt. Nicht aus Asien, also vom Westen her und gegen die Strömung wurden die Eilande besiedelt. Alles kommt aus dem Osten – aus dem Reich der Sonne, aus dem Peru der Prä-Inka-Kultur. Boatpeople auf einem Floß brachten vor 1500 Jahren die Ananas ebenso mit wie ihre Götter, so die verwegene Behauptung, die die Wissenschaft düpiert. In einem weiteren Zeitsprung und nach nochmals zehn Jahren hat Heyerdahl die Hindernisse überwunden, Geld aufgetrieben und eine Besatzung gefunden: Sechs Mann werden 1947 die 5000 Meilen auf aus Balsaholz gebauten und verbundenen Stämmen überwinden, ohne modernes Gerät an Bord bis auf ein Funkgerät. Einerseits: Vertrauen in das Wissen der Ahnen ist gut, aber ein Sextant und eine Rolle Draht wären nicht verkehrt gewesen.
Joachim Rönning und Espen Sandberg erzählen die Geschichte ihres norwegischen Landsmannes ernsthaft und doch mit sicherem Gespür für Hollywood-Dramaturgie: Die Skyline Manhattans leuchtet wie für eine Cole-Porter-Melodie; und dass ein Schiffbruch auch ohne Tiger funktioniert, dass Fliegende Fische und ein auftauchender Wal, blutige Hai-Attacken und bedrohliche Orkane Eindruck machen, bleibt nicht einem Ang Lee exklusiv vorbehalten. Überhaupt bietet das Abenteuer emotionale Schubkraft, nicht zuletzt mit Blick auf die unterschiedlichen Charaktere an Bord, beginnend beim eigensinnig charismatischen Kapitän Heyerdahl (Pal Sverre Hagen mit der Aura des jungen Max von Sydow), Ingenieur Watzinger, der zuvor u.a. als Vertreter für Kühlschränke unterwegs war; dem Ethnografen und Dokumentarfilmer Bengt Danielsson, dessen Film über die Reise 1952 den »Oscar« gewinnen wird, dem charmanten Draufgänger Torstein Raaby nebst Knut Haugland und Erik Hesselberg. Aus Männern, die im Anzug mit Krawatte und steifem Kragen gestartet waren, sind in den 101 Tagen ungeschorene, struppige Robinsons geworden. Aber, wie wir wissen, haben sie es geschafft.
»Kon-Tiki«; Regie: Joachim Ronning und Espen Sandberg; Darsteller: Pal Sverre Hagen, Anders Baasmo Christiansen, Jakob Oftebro, Tobias Santel-mann, Gustaf Skarsgard, Odd-Magnus Williamson, Agnes Kittelsen; UK / Norwegen / Dänemark 2012; 113 Min.; Start: 21. März 2013.