Große Unordnung. Wir sind dort, wo sonst sie, die Schauspieler, sind – und umgekehrt. Die Zuschauer sitzen und schauen aus dem breiten Bühnenrechteck auf die ihnen gegenüber ansteigenden Reihen des Parketts, abgehängt mit weißen Tüchern, auf denen Zahlen stehen, die durcheinander geraten sind, hoch und niedrig, gerade und ungerade. Konfusion auch hier. Nichts stimmt und passt mehr. Die Welt ist aus den Fugen. Anfang und Ende, Tag und Nacht, gestern und heute, Sinn, Widersinn, Unsinn, Übersinn – alles eins.
So ist die Theatersituation gespiegelt, wenn im Depot des Schauspiels Köln zur Eröffnung der Corona-Saison und allgemeinen Maskerade Beckett gegeben wird: als Ver-NICHT-ung. Sogar Teile der Bestuhlung werden, scheint es, herausgerissen und verheizt für ein wärmendes Feuerchen (Bühne: Moritz Müller). Verkehrte Welt. Die Schauspieler sind an dem leeren Platz, der sonst uns reserviert bleibt. »Warten auf Godot« ist uns mythisch geworden wie eine ewig vergebliche Müh’ in der Hades-Hölle.
Kleider machen Clowns
Wladimir und Estragon (Peter Knaack, Jörg Ratjen) schälen sich aus ihren farbfrohen Mänteln, halb Schnee-, halb Bademantel, mit Kapuze und bis zur Nase hochgezogenem Verschluss (Kostüme: Kathrin Plath). Auch darunter geht’s bunt zu. Kleider machen Clowns. Zwei, die wohl auch in die Häschenschule gegangen und kleben geblieben sind. Stand-up-Comedians, denen als Dritter Pozzo Saures gibt: Bruno Cathomas als ungezügelte Zirkusattraktion, Fresssack, Grinsekater und albernder Schwätzer, während sein Knecht Lucky (Justus Maier) die Lunch-Kühlbox schleppt und einen Beatnik und rappenden Denker im Lichtgewitter hinzuckt.
Kleine Tricks und größere, breitere Einlagen (wie die mit der gelben Rübe), Worte und ganze Sätze werden mit einem kräftigen Tusch verstärkt. Das Drummer-Girl (Carolina Bigge) macht selten Pause und trommelt, dass man sie für Oskar Matzerath halten möchte. Der Spaß lärmt sich müde. Die mobile Ein-Frau-Playstation in Goldflitter jazzt das Durchdrehen der Schraube, deren Geschwindigkeit für Wladimir und Estragon doch eher im ersten Gang liegt, hoch und voran. Das tut nicht immer gut.
Der Junge als Godots Abgesandter bleibt Wladimirs Phantom, Projektion und Illusion: Augentrug und Selbstbetrug. Nein, es gibt in diesem Theater keinen Halt im Haltlosen. Der Blick stiert ins Nichts. Doch davon abgesehen, wird in Jan Bosses Regie-Abend für lange der Abgrund nicht mal herbeigeschwindelt. Das Paar, das voneinander nicht kann, bleibt von Beruf Entertainer, etwas schmal in seinem Repertoire und zusehends – rührend, fast schon zu sehr – verstört, bekümmert, ausgeglüht. Als liefe aus einer Flasche der Rest und ginge zur Neige. Mehr Deutung erlaubt sich die entleerte Aufführung nicht. Vom Verlust und vom Ende haben wir ohnehin genug.
Aufführungen: 6., 19., 20. September, 16. und 31. Oktober, 1. November, Schauspiel Köln, Depot 1