TEXT: ANDREAS WILINK
Wie lang’ ist das jetzt her, seit Ethan Hawke und Julie Delpy sich im Zug von Budapest nach Paris trafen, zu flirten begannen und kurzentschlossen in Wien ausstiegen, um eine Nacht gemeinsam umherzustreunen und sich am nächsten Morgen zu verabschieden, nicht ohne doch noch eine Verabredung zu treffen? Es war 1995. Und wie lang’ ist das Wiedersehen der Zwei in Paris her (wie erinnern uns an die Atelierwohnung in dem verwunschenen Hinterhof), als sie schon keine Twens mehr waren? Und nicht frei füreinander. Auch fast zehn Jahre. Auf »Before Sunrise« folgte »Before Sunset«. Nun sind wir mit Regisseur Richard Linklater angelangt bei »Before Midnight« – dem Ende der Trilogie. Vieles hat sich verändert, geblieben ist die Lust am Reden des Amerikaners aus Texas, Jesse (Hawke), und der Französin Céline (Delpy).
Als sie sich kennenlernten und ineinander verliebten, der Empfindung aber keine Dauer einräumten, sondern nur den Moment, öffnete sich im Sprechen die Möglichkeit eines Versprechens. Ihre Herzen lagen auf der Zunge. Dass die Grammatik der Gefühle banal, trivial, geschwätzig sein kann, war Teil der Empfindungsgeschichte dieses Paars (und ihrer Darsteller Hawke und Delpy, die mehr sind als Interpreten, sondern innig verbunden mit ihren Rollen und Texten). Schon lange sind Jesse und Céline jetzt zusammen und haben bezaubernde blonde Zwillingstöchter. Sie verbringen Ferien in Griechenland, treffen Freunde, lieben sich, sitzen vor malerischem Sonnenuntergang und fahren durch antike Landschaft. Meerblick inklusive. Am letzten Abend, bevor es wieder heim geht, spielen sie gewissermaßen ihren persönlichen Edward Albee: Jesse, der eine gescheiterte Ehe auf seinem Gewissen, Hass hinterlassen und einen Sohn aus dieser Verbindung hat, den er vernachlässigt; Céline, die den romantischen Jüngling von einst vermisst und sich schwer tut, Europa mit den USA zu tauschen. Das Ungesagte, obschon Worte nie ihre Problem waren und sie ihre Biografie auch literarisch verarbeitet haben, will heraus in langen (filmisch ungeschnittenen) Dialogen: der Frust über den einen und anderen kleinen Verrat, Versagens- und Verlustängste, die Routine, auch die Müdigkeit beim Sex. Die Schleifspuren der Zeit eben. Und die Wahrnehmung von etwas, das einem ans Herz greifen kann: dass nämlich das eigene Leben in der Rückschau zur Ansichtssache von etwas Fremden zu werden scheint.
»Before Midnight«; Regie: Richard Linklater: Darsteller: Ethan Hawke, Julie Delpy, Seamus Davey-Fitzpatrick; USA 2012; 108 Min.; Start: 6. Juni 2013.