Vielleicht hat dieser Mann die Neue Deutsche Welle erfunden. Ende der 70er spielte Kurt Dahlke Keyboards bei Der Plan, einer Band, die irgendwo zwischen Performance und Pop angesiedelt war. Man trat in selbstgebastelten Ganzkörperkostümen auf, in bunten Bühnenbildern des Malers Moritz R®. Die Musik erinnerte an surreale Kinderlieder. In den Zeiten von Deichkind und Bonaparte mag das ein alter Hut sein, 1979 war es eine kleine Revolution. In Düsseldorf, wo Der Plan herkam, regierte der Punk und mit ihm die schlechte Laune. Dahlkes Bandkollege Frank Fenstermacher erinnert sich: »Es war ganz schwierig, diese lustige Musik durchzusetzen. Damals machten die meisten ja furchtbar ernste Musik.« Pyrolator & Co. wollten sich vom Punk nicht vorschreiben lassen, was sie spielen durften und was nicht. Erlaubt war, was gefiel.
31 Jahre später sitzt Dahlke in einem Düsseldorfer Sushi-Imbiss und betont diese Haltung noch mal: »Es gibt eigentlich keine Musik, die ich wirklich schlecht finde. Es gibt sogar guten Schlager und Doom Metal.« Wer sich auch nur einen Bruchteil der zirka 200 Platten anhört, die er als Pyrolator in den letzten drei Jahrzehnten aufgenommen und produziert hat, wird das bestätigen. Ideologische Mauern existieren nicht – Dahlke hat NDW-Musik gemacht, Clubsounds produziert, Weltmusik und Elektronik. Wenn es überhaupt einen Roten Faden gibt, dann seine Vorliebe für exotische Synthesizer. Schon Ende der 70er hatte er einen eigenen Musikcomputer entworfen. Der »Brontologic« war ein irrwitziges Kabel- und Steckermonster, das beim Plan zum Einsatz kam. Heute tritt Dahlke häufig mit den Nischen-Synthesizern »Thunder« und »Lightning II« auf, die durch bewegungsempfindliche Taktstöcke gesteuert werden.
Seine Vorliebe für experimentelle Instrumente hat ihm letztes Jahr einen besonderen Auftrag eingebracht: Für die Düsseldorfer Berger Kirche hat er, gemeinsam mit dem Kantor Wolfgang Abendroth, eine 3D-Orgel entwickelt. Mit dem weltweit einmaligen Instrument können Klänge an verschiedenen Stellen im Raum einzeln und in Echtzeit manipuliert werden. Sounds können »rotiert« und »geschwenkt« werden; wenn der Operateur das will, wandern sie auch mal durch den Raum. Dahlke erklärt die Technik im ruhigen Ton eines Geheimwissenschaftlers. Er erzählt von kalifornischen Synthie-Pionieren, Klang-Algorithmen, Schweizer Universitäten und Hightech-Soundprogrammen, die im Internet kursieren. Manchmal klingt es ein bisschen nach »Akte X«.
Damit das Ganze nicht zu esoterisch wird, hat das neue Instrument zwei Eingabesysteme: eine klassische Klaviatur für liturgische Zwecke und ein experimentelles Interface für weltliche Konzerte. In Zukunft soll es Stücke geben, die eigens für die Orgel der Berger Kirche komponiert werden. Vielleicht vergeben sie Aufträge an Studenten der Robert-Schumann-Musikhochschule, Dahlke und die Diakonie können sich da einiges vorstellen.
In mancher Hinsicht ist das ganze Projekt aus der Not geboren. Der Diakonie-Chef »Thorsten Nolting hat einen Kostenvoranschlag für eine traditionelle Kirchenorgel erstellen lassen«, sagt Dahlke. »Bei der Summe haben alle mit den Ohren geschlackert. So kam die Frage auf, ob man dort nicht etwas ganz anderes hinstellen sollte.« Als Innovationsraum war die Berger Kirche ohnehin schon erprobt: In den letzten Jahren fanden dort immer wieder Konzerte mit elektronischer Musik statt.
Der Sound der Orgel ist noch nicht ihr einziger Clou. Für das Design konnte die Düsseldorfer Diakonie den Künstler Tobias Rehberger gewinnen, den man spätestens seit der Einladung zur Biennale 2009 getrost als Weltstar bezeichnen kann. Ende Februar wurde das Gesamtwerk erstmals im kleinen Kreis präsentiert, im Mai wird es ein großes Premierenkonzert geben, unter Beteiligung von Elektro-Acts wie Kreidler, Stefan Schneider und vielen anderen.
Wer glaubt, die Vorbereitungen zu diesem Event würden für eine Person reichen, täuscht sich allerdings. Dahlke stemmt noch vier weitere Projekte in diesen Wochen. In Amerika tourt er mit der Band Burkina Electric, im Anschluss geht es mit den Fehlfarben durch Deutschland. Hinzu kommen noch ein paar internationale Termine mit Carol Armitage, einer New Yorker Künstlerin, die eine Performance zur Musik von Burkina Electric und Pyrolator choreografiert hat.
Dahlke wirkt nicht, als würde ihn diese Terminflut sonderlich nervös machen. Im Gegenteil. Er spricht ruhig und konzentriert, wie jemand, der das alles schon mal erlebt hat. Was ja auch stimmt. Unterscheidet er eigentlich zwischen »schweren« Projekten wie der Kirchenorgel und »leichten« wie dem Job bei den Fehlfarben? »Ich sehe da keinen Unterschied. Das ist einfach ein weiterer Aspekt meiner Arbeit. Aber die Fehlfarben-Konzerte machen natürlich Spaß.« Und Peter Hein, der notorische Grumm-ler, ist auf Tour nicht schwierig? »Der ist überhaupt nicht schwierig. Er sagt nur sehr klar, was er nicht gut findet. Das stößt manchen Leuten negativ auf. Er kokettiert auch manchmal mit einer gewissen Anti-Haltung. Andererseits hat er einen guten Humor. Der bringt zum Beispiel immer eine Riesen-Garderobe mit zur Tour und fragt vor dem Auftritt: ›Als was gehe ich denn heute – als Diva oder verlotterter Punk?‹«
Die Produktion der neuen Fehlfarben-Platte hat Dahlke diesmal allerdings abgegeben. Mit Moses Schneider hat die Band einen würdigen Ersatz gefunden. Der Hamburger gilt als einer der besten Produzenten Deutschlands und hat unter anderem die letzten Alben von Tocotronic betreut. Dass »Glücksmaschinen«, die neue Fehlfarben-Platte, 30 Jahre nach der Bandgründung so frisch klingt, ist auch ihm zu verdanken. Und so muss Dahlke ausnahmsweise mal »nur« die Keyboards bedienen. »Das war eine Riesenbefreiung, mal nicht hinter den Reglern zu stehen.« Am Ende brauchen eben auch Multitalente ein bisschen Arbeitsteilung. Irgendwie beruhigend.
Kurt Dahlke/Pyrolator: www.pyrolator.com. Berger Kirche: www.diakonie-duesseldorf.de/Diakoniekirche-Bergerkirche.190.0.html