Was ist los mit der Wagner-Gemeinde? Da wird der »Ring« geschmiedet – und keiner will hin. Schon am zweiten »Siegfried«-Abend ließ der Saal Lücken sehen, und in der Premiere soll es auch nicht viel besser gewesen sein. Überregionale Aufmerksamkeit hat Christine Mielitz’ zweiter Versuch mit dem Werk bislang nicht geerntet, obwohl die Regisseurin damals mit ihrem Meininger »Ring« in die Annalen des Theaters einging und Besucher nach Thüringen pilgerten – fast wie nach Bayreuth. Dort bestand die Sensation freilich darin, dass ein kleines Opernhaus überhaupt solch ein Werk zu stemmen imstande war. Von einem mittleren Institut wie dem Dortmunder dagegen darf man Wagner erwarten können.
Dabei gewinnt der von Arthur Fagen musikalisch geleitete »Siegfried « gegenüber den voran gegangenen Inszenierungen deutlich an Zugkraft und Dichte. Noch immer ist keine These, kein die Tetralogie verzahnendes Konzept auszumachen, noch immer drehen sich die Aufbauten (Bühne: Stefan Mayer) oft im Leerlauf; wieder belässt es eine lädierte, nun sogar brennende Mercedes-Limousine bei vagen Andeutungen: ob RAF-Anschlag auf Herrhausen oder die Aufstände der Pariser Banlieus. Wo in der »Walküre« noch Assoziations-Adressen störend fehlten, klärt sich jetzt, dass die Grundidee sich in kommentierenden Bildern und im Atmosphärischen findet. Die Geschichte bleibt in zeitloser Theaternacht, während das Personal im naturbelassenen Zustand lange Haarmähnen und das der (kapitalistischen?) Gesellschaft Kurzhaar und schwarzweiße Anzüge trägt.
Das Übrige besorgt die ausgefeilte Personenregie. Mime (Jeff Martin) ist ein zwanghafter Hypertoniker, Alberich finster verzweifelt, der Wanderer (Béla Perencz) weiß schon, dass er verlieren wird: Herren in der Abwärtsspirale. Indes, Siegfried (fulminant, unforciert und spielfreudig: Jürgen Müller) markiert einmal nicht den lärmenden, tumben Kraftprotz, sondern zeigt jemanden, der einfach alles wissen will. Brünnhildes (Milena Butaeva) Auftritt nach ihrer Erweckung durch ihn bringt eine überraschende Wendung: Als das Paar sich findet, springt es von der Bühne und zieht den Vorhang hinter sich zu. Es will scheinen, als wollten sie der fatalen Geschichte entlaufen, fort von Göttern, Verträgen, dem schnöden Gold, hinein ins Zweierglück. Doch daraus wird nichts, sie blickt durch einen Vorhangspalt zurück auf die marode Götterwelt, flugs öffnet sich der Vorhang, die Pflicht ruft. REM