Ausstellungstipp zwischen den Jahren: Das Ludwig Forum ruft zum Wiedersehen mit den »Neuen Wilden«.
Da sitzen sie zur besten Sendezeit. Walter Dahn, Jirí Georg Dokoupil und ein paar Kumpanen 1982 in »Bio’s Bahnhof«. Sie reden und witzeln über die eigene Malerei – zum Beispiel mit Besen. Dazu trinken die Künstler Bier und rauchen; gern auch dicke Zigarren. Sogar ein Bühnenbild hat die Crew zu Alfred Bioleks Show beigesteuert – gigantisch und hingehauen in 20 Minuten, wie man versichert. Die Jungs von der »Mülheimer Freiheit« wussten sich publikumswirksam in Szene zu setzen und hatten es offenbar darauf abgesehen, das Bildungsbürgertum und seinen Kunstbegriff zu veralbern.
Das Aachener Ludwig Forum hat den coolen TV-Auftritt der fünf Kölner nun noch einmal hervorgekramt. In der Ausstellung dort geht es um »Die Erfindung der Neuen Wilden« und erzählt wird eine Geschichte, die mit der Ankunft der einstigen Künstler-Rebellen im öffentlich-rechtlichen Programm bereits auf der Zielgeraden angekommen ist. Im selben Jahr wird die neue, wilde Malerei bei der Documenta groß gefeiert. In Kassel dabei war unter anderem Dokoupils finster verschmierte Collage »Gott zeig mir Deine Eier« von 1982, die nun auch in Aachen hängt. Man kann wohl sagen, dass die heftigen Maler aus Köln, Berlin und Hamburg den Durchbruch zu diesem Zeitpunkt auf ganzer Linie geschafft hatten – in Museen, in den Medien, auf dem Markt.
Ihren gemeinsamen Namen verdankt die diffuse Bewegung Wolfgang Becker, als Direktor der Neuen Galerie – Sammlung Ludwig hatte er den Begriff 1980 in Zusammenhang mit einer Ausstellung erfunden. Der Witz dabei: Die Schau vereinte Maler wie Baselitz, Lüpertz, Penck und Immendorff , keiner der Jungen war dabei, die man heute mit den »Neuen Wilden« assoziiert. Macht nichts – Hauptsache wild. Nach den eher spröden Zeiten mit Minimal und Concept Art schien der Kunstbetrieb damals geradezu elektrisiert von den ungestümen Neuigkeiten und dankbar für Beckers marketingtauglichen Oberbegriff.
»Lange genug hat die Szene lamentiert, in der Kunst sei so gar nichts los. Und nun dies!« (»Der Spiegel«)
Auch Irene und Peter Ludwig – beide damals in den 50ern – ergreift die große Welle. Schon Anfang der 80er schafft das Paar wilde Bilder an. Rainer Fetting ist der Erste, den sie in die Sammlung aufnehmen. Seine duschenden Männer sind inspiriert von Eindrücken aus der Berliner Homo-Szene. Der Malerfreund Helmut Middendorf zeigt in seiner »Reise ans Ende der Nacht« zackige Körper als würden sie im flackernden Licht zu Punk-Musik tanzen. Der malerische Part der Aachener Ausstellung speist sich ausschließlich aus dem Bestand der Ludwigs, deren Begeisterung allerdings nicht sehr lange hielt. Wer also nach Aachen kommt, nur um befreite Pinselwut im Megaformat zu sehen, könnte enttäuscht sein.
Denn mehr Raum als die unverschämten Gemälde nehmen Plakate, Plattencover, Fotos und Filme, Monitore und Kopfhörer ein. Jede Menge Material, das den Background beleuchtet. »Das Thema wurde immer größer«, so die jungen Kuratoren Benjamin Dodenhoff und Ramona Heinlein. Auf den Spuren der Subkultur haben sie künstlerischen Kleinkram, Gedrucktes, Gespieltes, Gefilmtes zusammengetragen und etliche Gespräche geführt. Denn viele Künstler der »Neuen Wilden«, so ihre Erkenntnis, seien durchaus nicht als Vollblut-Maler gestartet. Fast alle hätten medienübergreifend gearbeitet, seien in Performances und als Musiker aufgetreten.
Was haben die Künstler nebenbei und kurz vor dem Durchbruch gemacht, woraus speist sich die Energie ihrer Malerei? Die Spurensuche führt zunächst nach Berlin. Ganz nah an die Mauer, in die Selbsthilfe-Galerie am Moritzplatz, wo eine Handvoll Kreative Werke zeigten, die in der damals eher biederen Berliner Galerienlandschaft keine Chance hatten. Ein weiterer Hotspot etabliert sich nebenan in der »Fabrikneu«. »Der Ort war WG und Werkstatt, Atelier und Laufsteg, alles direkt unter einem Dach in Kreuzberg«, so Claudia Skoda, die dort nicht etwa in Kunst, sondern in Strickmode machte. Martin Kippenberger und die Moritzplatz-Künstler gingen ein und aus und beteiligten sich an ihren privaten Mode-Happenings.
Die erste öffentliche Show ging 1979 in der Kongresshalle über die Bühne. Skoda war zuvor mit den Models in den Zoo ins große Vogelhaus gegangen. Mit Zwitscherpfeifen im Mund sollten sie nicht mehr sprechen und sich auf der Bühne ganz so bewegen wie Vögelchen im Käfig. Der Soundtrack stammt von Manuel Göttsching, Pionier elektronischer Musik. Als männliche Zugaben kommen Salomé und Luciano Castelli hinzu, die fast nackt, dafür von Kopf bis Fuß bemalt umherschleichen oder am Trapez schwingen. Etwas später schaffen die Künstlerfreunde gemeinsam ihr 40 Quadratmeter großes Gemälde »Tiere«, das mit seinem knallbunten Drunter und Drüber bewegter Körper leicht Erinnerungen an das gefiederte Happening im Kongresszentrum wachruft.
Wer bisher beim Stichwort 80er nur an Schulterpolster, Popper und andere Peinlichkeiten dachte, entdeckt hier ganz andere, abgedrehte, immer wieder auch provokativ politische Seiten. Als »angstlose Tunten« beschreiben sich Salomé und Co. »Wir waren immer laut und offensiv in unseren politischen Forderungen«. Um das Anderssein ging es ihnen und um den Aufsehen erregenden Auftritt – auch wenn sie als Herrchen und Hund auf allen Vieren durch die Stadt ziehen.
Ein betendes Brot in der Badewanne
Etwa zur gleichen Zeit, gut 500 Kilometer Richtung Westen, waren Dahn und Dokoupil von der Düsseldorf Kunstakademie in der Kölner Szene angekommen. Der eine hatte bei Joseph Beuys studiert, der andere bei Hans Haacke. Nun befreien sie sich von den großen Lehrern und suchen im Unsinn eine Alternative. Gemeinsam mit Peter Bömmels und Hans Peter Adamski beginnen sie, »kleine verrückte Ideen« zu schmieden. Das Medium war, nach eigener Auskunft, »erstmal wurscht«. Kleine Heftchen wurden produziert, Postkarten zerschnippelt und collagiert. Bömmels formt eine Badewanne aus Knete und legt ein betendes Brot hinein.
Nach ersten Präsentationen im eigenen Atelier bezog der Club die Räume des Bundes Bildender Künstler in der Hahnentorburg, brachte aber kein einziges Bild mit. Alles wurde vor Ort in Windeseile an die Wände und auf den Fußboden gepinselt. Den anderen an Übermut übertreffen – das war das Ziel. Und der Markt wurde sofort hellhörig. Während Künstler wie Kippenberger, Werner Büttner und die Brüder Albert und Markus Oehlen in der Galerie Hetzler in Stuttgart groß wurden, krallte sich der Kölner Galerist Wolfgang Maenz die Kölner Truppe, legte ihr die Galerieadresse »Mülheimer Freiheit« als Gruppennamen nahe und wies sie an, ihre Bilder künftig auf Keilrahmen aufzuziehen. Von nun an ging es steil bergauf für die »Neuen Wilden«. Herrschten zuvor Energie und Übermut, so wurde nun für einige von ihnen die Nachfrage zum Motor. Mit der schnellen Malerei ließ sich auch flott Geld verdienen – was der Kunst nicht guttat. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass der Stern dieser Strömung so rasant sank.
»DIE ERFINDUNG DER NEUEN WILDEN«
BIS 10. MÄRZ 2019
LUDWIG FORUM, AACHEN
TEL.: 0241/1807104