»Nein«, sagt die freundliche Dame am Telefon, Herr Janssen stehe für Interviews nicht zur Verfügung. Klaus Janssen, der Geschäftsführer und alleinige Inhaber des Buchhauses Stern-Verlag. Das Traditionshaus wurde 1900 gegründet. Auf gut 5000 Quadratmetern gibt es – noch – Ratgeber zu allen Fragen des Alltags über Belletristik bis zu Werken der griechischen Philosophie; alles, was an gedrucktem Papier zwischen Buchdeckel passt. Gegenüber der Rheinischen Post sagte Janssen, eine Buchhandlung dieser Größe sei wirtschaftlich nicht mehr zu führen.
Der Buchhandel musste als erste Branche mit der Digitalisierung fertig werden. Schon 1995, dem Jahr, in dem das Internet in Deutschland sein Nischendasein beendete und der Zugang zum World Wide Web zwar noch langsam war, aber immerhin preiswert wurde, startete mit telebuch.de der Online-Buchhändler hier sein Geschäft. Auf einmal war es möglich, von zu Hause aus bequem jedes lieferbare Buch zu bestellen. 1998 übernahm Amazon Telebuch. Heute ist Deutschland der wichtigste Auslandsmarkt von Amazon – aus dem Buch-Versender wurde ein Online-Kaufhaus, in dem es vom Saugroboter bis zum Autoreifen nahezu alles gibt.
Zwar bedeuten die 2,2 Milliarden Euro Umsatz, die Amazon mit Büchern umsetzt, nur noch gut zehn Prozent des Konzern-Gesamtumsatzes, aber das reicht aus, um den heimischen Buchhandel radikal zu verändern. Amazon ist mit Abstand der größte Buchhändler des Landes und liefert seinen »Prime-Kunden« die Ware kostenlos – frei Haus. »Amazon hat alles verändert«, sagt der Berliner Stadtplaner Arnold Voss: »Ein Angebot wie von Amazon findet sich höchstens in Metropolen wie Köln, Berlin oder Hamburg. In Bielefeld, Bochum oder Aachen kann der gesamte Einzelhandel da nicht mithalten. Aber weil es bequem ist, wechseln auch in den Metropolen mehr Kunden zu Online-Anbietern.« Bis 2025 rechnet die Gesellschaft für Konsumforschung (GFK) mit einer Verdoppelung der Umsätze im Online-Handel auf dann 15 Prozent. Im Non-Food Bereich werden Amazon, Zalando und Co. dann sogar 25 Prozent des Umsatzes auf sich vereinen. Bei Super-Investoren in Einzelhandels-Immobilien wie dem zum Otto-Konzern gehörenden Shoppingcenter-Betreiber ECE ist die Botschaft angekommen: Von Plänen für neue Center an eher schwachen Standorten wie Bochum oder Velbert hat man sich verabschiedet. Auch Versandhändler Otto investiert massiv in den Ausbau des Online-Handels.
Erwartet den Buchhandel also der ungebremste Niedergang? Ist das Ende des Stern-Verlages erst der Anfang? Gabriele Schink, Regionaldirektorin im Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Düsseldorf, verneint: »Die Situation ist stabil. Die Buchhandlungen, die schließen – und vor allem geschieht dies aus Altersgründen –, werden durch Übernahmen und Neugründungen zu fast 100 Prozent ersetzt.« 500 Buchhandlungen habe es 2015 in NRW gegeben, nur sieben weniger als im Jahr zuvor. Bei den kleinen und mittelgroßen Geschäften mit Verkaufsflächen zwischen 80 und 500 Quadratmetern bestehe wenig Grund zur Sorge. Kritischer sehe es bei denen mit über 1000 Quadratmetern Fläche aus. Viele gewichtige Buchhändler wie Thalia oder die Mayersche würden große Standorte aufgeben.
Eine andere Variante ist der Wandel von der Buchhandlung zum Gemischtwarenladen und Geschenke-Shop: Stofftiere, Backformen, Taschen, Tassen und Basecaps. Da scheinen die Bücher dann Nebensache. Diesen Weg ging Nils Janssen nicht. Er betreibt auf 200 Quadratmetern die Buchhandlung Janssen in Bochums Kneipenviertel Bermudadreieck. Bei ihm gibt es Bücher, gute Beratung und Lesungen. Die Lage, sagt auch er, habe sich stabilisiert: »Aber vor 20 Jahren war es deutlich lukrativer, eine Buchhandlung zu betreiben.« Er hat über die Jahre Personal abgebaut, ohne aber einem Mitarbeiter gekündigt haben zu müssen.
Auch in den Online-Handel stiegt Janssen mit Erfolg ein; die Umsätze wachsen. Für ihn ist Amazon ein wichtiger Konkurrent, aber nicht der alleinige Grund für den Umsatzrückgang. »Die Innenstädte haben an Attraktivität verloren, das spürt der gesamte Einzelhandel. Was die Buchhandlungen betrifft, macht sich auch der Rückgang an institutionellen Käufern bemerkbar.« Stadtbüchereien, Universitäten und Hochschulen kaufen deutlich weniger. Anwälte setzen fast vollständig auf Datenbanken und kaufen ebenfalls weniger Fachliteratur ein. »Jeder Buchhändler, der einen solchen Kunden verliert, weiß, dass er nicht durch einen anderen ersetzt wird.«
Ein Problem, das sich für die Buchhandlungen intensivieren wird. Weiterhin streichen fast alle Städte Etats für Stadtbüchereien oder machen Filialen in den Stadtteilen dicht. Universitäten schließen direkt Verträge mit Verlagen ab und erhalten dafür Online-Zugriff auf Bücher und Fachzeitschriften. Auch der Handel mit Schulbüchern geht zurück. Gabriele Schink ist dennoch optimistisch. Die Buchhändler seien, was den Umbruch durch den Online-Handel betrifft, weiter als andere Einzelhändler. »Viele gehen neue Wege, liefern Bücher aus, kooperieren mit anderen Händlern und setzen auf Veranstaltungen. Wir werden nicht den Weg der Schallplattenläden gehen.«