Fassadenverschönerung: »Tricks for Transformation«
Werde, der du bist oder der du sein willst: Verwandlung ist alles. Von der heiteren Seite nimmt es Rainer Knepperges – nicht existentiell, sondern kosmetisch als Fassadenverschönerung. Haut-Packungen, Farben, Perücken, falsche Bärte, Kopfputz-Sensationen, Basteleien diverser Art und andere Verpuppungen, Übermalungen und »Tricks for Transformation« kommen sehr gewitzt und mit tüchtiger Beigabe britischen Humors zur Ansicht, entsprechend dem Material, das aus dem Archiv von British Pathé stammt.
NRW Wettbewerb
Seidenfutter: »Verwundene Fäden«
Found Footage ist im Jahrgang 2021 der Kurzfilmtage reich vertreten. Sich vorhandenes Material anzueignen und neu zu verarbeiten über Zeiten, Orte und Kausalitäten hinweg – in der Literatur haben W. G. Sebald und Alexander Kluge derartig fein gesponnene Erzählstränge gelegt. Deborah Jeromin tut dies in ihrer 40-minütigen experimentellen Dokumentation auch, die ihren Ausgang in einer Leipziger Laubenkolonie nimmt. Dort spielte der Zufall Jeromin einen Bericht in die Hände, demnach bei den Kleingärtnern ab 1939 eine Seidenraupenzucht angelegt und dafür Maulbeerbäume gepflanzt wurden, um aus dem Gespinst Fallschirmseide für die Luftwaffe zu machen. Einige der mit dieser Ballonseide ausstaffierten Piloten werden auch Kreta bombardieren, woher die Familie der Regisseurin stammt, die Insel besetzen, Dörfer zerstören. Auch die griechischen Frauen am sagenhaften Ursprung Europas weben und spinnen Wolle und Seide – in friedlicher und ziviler Absicht.
Deutscher Online Wettbewerb
Freiheit, die ich meine: »Safe Space«
Freiraum suchen, erobern, erfinden, behaupten. Wenn du weißt, dass du nicht in die Norm passt, dich isoliert oder von Gewalt bedroht fühlst – wie damit umgehen? Du hast zunächst nichts als dich selbst, also: tanz dich frei, sprich dich frei! Steckbriefe von Menschen aus Syrien, Saudi-Arabien, Indien, Marokko oder Nigeria, heimatlos in ihrer Haut, ihrem Geschlecht, ihrem Begehren, ihren Schicksalen listet »Safe Space« von Mirelle Borra und zeigt diese ‚anderen’ Körper auf dem Parcours wie für eine Voguing-Performance. Dass gebrochene Biografien aber auch scheitern, lässt Philipp Gufler in »Lana Kaiser« wie im Schnelldurchlauf vor sich gehen: Daniel Küblböcks Aufstieg und Niedergang als Existenz und als Medienphänomen, der zum »Superstar« ausgerufen wird und an dieser Fiktion zu Grunde gegangen ist. Ein verschollenes Leben.
Deutscher Online Wettbewerb / Deutscher Wettbewerb
Manhattan Transfer: »Misty Picture«
Die Fackel der Freiheit wird aus den Wolken heraus von allen Seiten betrachtet. Das Symbol der Hoffnung für die Mühseligen und Beladenen, die in die Neue Welt aufbrachen und denen bei Ankunft in New York City Miss Liberty gewissermaßen heimleuchtet, bleibt eine Verheißung – bis zu deren Verkehrung, als die Twin Towers brannten und damit mehr als bloß zwei Hochhaustürme einstürzten. Die Silhouette von Manhattan mit ihren schimmernden Wolkenkratzern im Glühen der Sonne, im nächtlichen Lichterschein und mit den wimmelnden Menschen zu ihren Füßen hat in »Misty Picture« neben dem Grandiosen auch etwas Surreales und beängstigend Bedrohliches. Die Stadt der Städte erscheint in der Zusammenschau – von Christoph Girardet & Matthias Müller aus den Speichern und Arsenalen des Films wie gewohnt exquisit montiert – als gigantische Kulisse. Ein steinernes Bildwerk unseres kollektiven Gedächtnisses – hier aus den Tiefen ans Licht geholt und doch umdunkelt.
Deutscher / Internationaler Wettbewerb
No Covid: »Aus aktuellem Anlass«/ »Covid Messages«/ »Trübes Wasser«
Dass die Beschäftigung »Aus aktuellem Anlass« mit der Corona-Pandemie und dem, was sie mit uns tut, eher gut gemeint ist, als überzeugend im Ergebnis, wird bei zwei Filmen ersichtlich. Einem aus NRW, einem aus Großbritannien (»Covid Messages«). Einmal wird das Ruhr-Revier, seine Lakonie und ehrliche Haut vorgeführt; jenseits des Kanals tritt Boris Johnson wie eine strubbelige Figur aus der satirischen Serie »Spitting Image« auf. Beides ist nicht genug. Da bedarf es schon anderer Kunstfertigkeit. In Elena Wieners »Trübes Wasser«, einem meisterlichen Animationsfilm, sehen wir eine junge Frau, deren Körperoberfläche wie geborstener Marmorstein ist. Sie duscht, wäscht sich, greift zu Medikamenten – einem Antiallergikum und Cortison, spült Geschirr, hantiert im Haushalt. Draußen vor der Tür steht ein dunkler Wald, in dem Birken Augen haben und wo ein Specht pickt. Auf dem Tisch vor ihr liegt eine Arztrechnung. Im schraffierten Schwarz-Weiß der Bilder leuchtet rot ihre Bluse (wie die der Wiedergängerin aus dem Totenreich, »Yella« von Christian Petzold), und auch das Wasser ist wie Blut. Im Geflimmer des Fernsehbildschirms schwimmt ein Tintenfisch. Die Welt ist aus den Fugen, der Kopf der Frau will schier platzen. Wie nur der Auflösung von innen heraus und der eigenen Natur Stand halten?
NRW Wettbewerb / Internationaler Wettbewerb
Die andere Arche Noah: »Bis zum letzten Tropfen«/ »Doom Cruise«
Einen kleinen danse macabre im Dreivierteltakt führt Simon Schnellmann mit einem Patienten auf, für den es – ebenfalls ein Animationsfilm – »Bis zum letzten Tropfen« geht und der bis zum Durchdrehen am Infusionsgerät hängt. Gevatter Tod reicht ihm vorsorglich einen Sarg, ob der denn auch passe. Überstehen ist alles – und dann »Alles Gute« und »Bis bald«. Dem Schrecken lässt sich nur mit Lachen unter Tränen bei- und entkommen. Eine Kreuzfahrt Richtung Untergang, der intensiv farbenfroh leuchtet, auch wenn der Tod an Bord umgeht. Die Worte des Kapitäns können das Ende nicht aufhalten. Auf dieser anderen Arche Noah sind Mensch und Tier gleichberechtigt rettungslos und international vielsprachig versammelt. »Doom Cruise« (Hannah Stragholz / Simon Steinhorst) ist ein weiteres starkes Beispiel für das Animations-Genre.
NRW Wettbewerb
Moment mal: »Lydia«
Ein Nachruf mit Bildern und in Worten von denjenigen, denen dieses Epitaph gilt, das vermutlich der Sohn, Christian Becker, filmisch gestaltet hat. Jedes Leben ist wert, erzählend aufgehoben zu werden. Entlang von Super-8-Filmen und einer Stimme aus dem Off, die Tagebucheinträge des Ehemanns ‚Wolferl’ B referiert, schließen sich Momentaufnahmen zusammen und lassen doch vieles offen. Impressionen, Stimmungen, auch Konflikte eines Akademiker-Paars. »Lydia«, die Französischübersetzerin, die sich einer Krebstherapie unterzieht und zuletzt an der Krankheit stirbt. Wolfgang, der Literaturwissenschaftler, der sich einmal zu einer berühmten Tenor-Arie aus Donizettis »Liebestrank« tänzerisch bewegt. Der Bildschirm blendet Tagesereignisse wie den Jugoslawienkrieg und die rechtsradikalen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen ein. Wir sind Beobachter einer Reise nach Paris, einer Kur in den Bergen und einer Fahrt im BMW – mit unbestimmtem Ziel. Abgesehen von dem, Erinnerung zu bewahren – und Zeugnis abzulegen.
NRW Wettbewerb
Alle Filme der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen sind online zu sehen unter: www.kurzfilmtage.de