TEXT: INGO JUKNAT
Die Topfpflanzen sind immer noch da. Sie standen schon im Schau-fenster, als Reinhard und Wolfgang Voigt ihren ersten Plattenladen in Köln aufmachten. 1993 war das, die Pflanzen gab’s von Mama. Vielleicht waren ihr die Räume zu düster. Auf den alten Fotos sieht der Laden aus, wie man sich eine Techno-Höhle der frühen Jahre vorstellt: lila Fassade, drinnen Tunnelrave-Ambiente mit Jägermeister-Reklame und selbstgebastelter Mülltonnendeckellampe überm Tresen.
Das war vor 20 Jahren. Seitdem ist Kompakt zweimal umgezogen, mit jedem Mal kam mehr Platz hinzu. Die Underground-Zeiten sind lange vorbei, die heutige Filiale auf der Werderstraße wirkt hell und aufgeräumt. An den Wänden lange Vinylregale, unter der Decke T-Shirts mit den Namen der Künstler. Auch an Label-Devotionalien mangelt es nicht. Zum Jubiläums-angebot gehören ein 1.FC-Köln-Schal mit Kompakt-Logo, Jutetaschen, Poster, Notizbücher und sogar ein Memoryspiel mit alten Plattencovern. Das Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr. 20 Jahre nach seiner Gründung ist Kompakt eine Weltmarke im Bereich der elektronischen Musik. Wer seine Strahlkraft überprüfen will, braucht nur auf den Tourplan der Künstler zu schauen. Lyon, Paris, Moskau, Bilbao, Zürich, Tiflis – die Kompakt-DJs sind weltweit gefragt. Das hat auch mit Markenidentität zu tun.
Wer »Kompakt« sagt, meint einen bestimmten Sound. Früher war es vor allem der Minimal-Techno. Er war der Gegenentwurf zu den Dauerfeuer-Beats der Mayday-Fraktion, die sich Anfang der 2000er Jahre langsam erschöpften. Die Kompakt-DJs suchten nach einer Verbindung von Club- und Popsound – nach Musik, die tanzbar war, die man aber auch zuhause hören konnte. Und so begannen sie, elek-tronische Musik mit allen möglichen (und manchmal auch unmöglichen) Stilen zu kombinieren. Das konnte Klassik sein, Synthiesound aus den 80ern, im Extremfall sogar Schlager. Kompakt-Mitbegründer Wolfgang Voigt gilt als bekennender Roy-Black-Fan, Label-Star Justus Köhncke wiederum mixt Krautrock- und Disco-Elemente unter seine Stücke. Wahrscheinlich ist der Humor von Kompakt seine spezifisch kölsche Komponente.
Hinzu kommt der familiäre Zusammenhalt der Mitarbeiter. Viele kennen sich aus dem Studium und sind seit langem befreundet. Auch räumlich sind sie zusammengerückt. Vor ein paar Jahren kauften Voigt und & Co. kurzerhand das ganze fünfstöckige Haus in der Kölner Neustadt. Seitdem sind Plattenladen, Studio, Lager, Büros, Vertriebszentrum und Mitarbeiterwohnungen unter einem Dach vereint. »Ich gehe gerne aus, aber theoretisch bräuchte ich das Gebäude den ganzen Tag nicht zu verlassen«, erzählt Reinhard Voigt, einer der vier Geschäftsführer von Kompakt. Er sitzt auf einer alten Ledercouch im Besprechungsraum, der nebenbei als Kantine fungiert. An den Wänden hängen bunte Pop-Art-Prints mit dem Firmenlogo, einem stilisierten Stadtwappen von Köln.
DIE FIRMA LEISTET SICH EINE EIGENE KÖCHIN
In der Mitte des Raums steht eine Bierzeltgarnitur mit rot-weißer Karodecke. Kompakt leistet sich eine eigene Köchin, die das Team jeden Tag mit vegetarischen Gerichten und Fisch versorgt. Kostenlos. »Wir wollen damit die Mittagshektik entschärfen und unseren Kollegen ein gesundes Essen bieten«, sagt Voigt. Mit weißem Hemd, schwarzer Weste und Krawatte entspricht er so gar nicht dem berufsjugendlichen Klischee seiner Branche. Das gilt auch für die Umgebung. Roher Betonboden, aufgeräumte Regale, Designer-Rechner – die Büro-Etage des Labels könnte genauso gut ein Architektenatelier sein. 26 Menschen arbeiten bei Kompakt, 13 davon sind fest angestellt. Wirtschaftlichkeit ist für Voigt kein Nebenaspekt. »Manche Kollegen haben Kinder, die zahlen in die Altersvorsorge ein und müssen sich um all diese BWL-Dinge kümmern. Da haben wir eine Riesenverantwortung.«
Vom drastischen Rückgang der Plattenverkäufe ist Kompakt natürlich nicht ausgenommen. 2003 machten Schallplatten noch 90 Prozent der Firmenumsätze aus. »Heute ist das ganz anders. Weltweit gibt es vielleicht noch etwa 500 Sammler, die wir mit Vinyl beliefern, der Rest nutzt unsere CDs oder Download-Formate«. Der Musikverkauf ist mittlerweile nur noch eine Aufgabe von vielen bei Kompakt. Ein großer Teil des Geschäfts läuft über das Booking. Voigt & Co. organisieren die Karrieren ihrer Künstler generalstabsmäßig – manchmal von der Studioaufnahme bis zur Tour. Auch die Vergabe von Drittlizenzen bringt Geld. Dabei kommt dem Label sein exzellenter Ruf zugute. Kompakt-Künstler beschallen längst nicht nur Clubs, sondern auch Modenschauen und Kunstevents. Auf der Art Cologne war die Plattenfirma dieses Jahr erstmals mit einem eigenen Stand vertreten. In Paris haben die Kölner eine eigene Kontaktfrau, die ihren Sound unter andrem auf die Laufstege von Gucci und Prada bringt. Dabei müssen es nicht immer Highend-Kunden sein. Mit Werbespots für bodenständigere Produkte hat Voigt kein Problem. »Wir wollen, dass unsere Künstler von ihrer Musik leben können. Wenn die Stücke toll sind, ist es uns egal, wenn das Geld dafür von Ford kommt.«
Mit dieser pragmatischen Haltung ist Kompakt in 20 Jahren gut gefahren. Und wie steht es mit den Gründern selbst? Wie wird man in einer Branche älter, die primär das Nachtleben bedient? Die Musik halte jung, sagt Voigt. Inzwischen legt er seltener auf und kümmert sich primär um das Tagesgeschäft. Das schließt die Talentförderung ein. »Wir haben tolle junge Künstler, die wir nach vorne bringen. Die profitieren von unserer Erfahrung. Umkehrt bleibt die Musik für uns aufregend.« Anders als viele Konkurrenten im Techno-Bereich hat es Voigt & Co. nicht nach Berlin gezogen. »Ein Großteil von uns ist hier aufgewachsen. Ich kann nicht sagen, welche Musik wir in zehn Jahren herausbringen werden. Aber dass wir noch in Köln sind, da bin ich mir sicher.«