TEXT: GUIDO FISCHER
René Jacobs ist das beste Beispiel dafür, dass man keine klassische Ausbildung als Dirigent absolviert haben muss, um zu einem der ganz Großen des Fachs zu werden. Wie er in seinem gerade erschienenen Werkstattbericht »Ich will Musik neu erzählen« gesteht, dirigiert er auch heute noch nach der Trial-and-Error-Methode. Natürlich schwingt da Understatement mit. Denn Jacobs beherrscht das Handwerk nach drei Jahrzehnten aus dem Effeff, mit konstantem Erfolg. Ohne demonstrativen Dirigentenstab versteht er es, Orchestermusiker und Sänger zu Höchstleistungen zu animieren. Ab dem ersten Takt nimmt er den Zuhörer gewissermaßen bei der Hand und lässt ihn nicht mehr, ob es sich im historischen Klangbild um italienische Barockoper-Raritäten eines Francesco Cavalli handelt, um Händel-Oratorien oder späte Haydn-Symphonien.
An die 200 Aufnahmen hat Jacobs eingespielt, von denen viele mit wichtigen Schallplattenpreisen ausgezeichnet wurden. Erst jüngst hat er mit der Weltpremiere eines geistlichen Werks von Giovanni Battista Pergolesi für Aufsehen gesorgt. Obwohl der Wahl-Pariser aus Flamen somit erneut seine Qualitäten als findiger Entdecker von Repertoire-Raritäten bewies, kehrt er gleichzeitig immer wieder zu alten Liebschaften zurück.
Wolfgang Amadeus Mozart rangiert dabei weit oben. Schon früh, im Elternhaus, hat der Mann mit dem Lockenkopf lieber Mozarts »Abendempfindung« gesungen als, wie er sich erinnert, »irgendwelche albernen Kinderlieder«. Während seiner Karriere als Countertenor kombinierte er schon französische Barockarien mit Mozarts französischen Arietten. Als der vor 67 Jahren in Gent geborene Jacobs 1982 Abschied vom Sängerleben nahm, um sich nur noch dem Dirigieren zu widmen, brauchte es fast zwei Jahrzehnte, bis er sich erstmals an eine von Mozarts drei Da Ponte-Opern heranwagte. Bei den Schwetzinger Festspielen führte er mit dem Alte Musik-Ensemble Concerto Köln »Così fan tutte« auf. In der anschließenden Studioproduktion trat die Truppe auf historischen Instrumenten einen schnittigen Buffa-Sturm los, wie ihn zuletzt Nikolaus Harnoncourt mit seiner Referenzaufnahme von 1991 geboten hatte.
GRAMMY FÜR FIGARO
Seither hat Jacobs auch den »Don Giovanni« mit seinen schroffen Klippen und Klüften atemberaubend belebt. 2005 legte er, wieder mit Concerto Köln, den subversiven, das Ende des Ancien Régime und das revolutionäre Zeitalter vorausahnenden Geist von »Le Nozze di Figaro« frei. Für dieses Mozart-Statement bekam Jacobs den Grammy. Wie fast bei allen Mozart-Opern, die er bis hin zu »La Clemenza di Tito« und der »Zauberflöte« dirigiert hat, ging auch dem »Figaro« eine konzertante Live-Aufführung in der Kölner Philharmonie voraus.
Obwohl Jacobs ein Musiktheater-Mensch durch und durch ist und mit prominenten Regisseuren wie Achim Freyer, Herbert Wernicke, Barrie Kosky und Luk Perceval zusammenarbeitet, haben solche Opern-Präsentationen ohne visuelle Komponente für ihneinen gewissen Vorteil. Er kann sich völlig auf die Musik konzentrieren. Jacobs findet, im Idealfall könne das Publikum dann bei der Oper »mehr sehen, wenn es die Augen schließt«. Eine imaginäre Bühne, auf der sich Graf Almaviva an Figaros Susanna zu schaffen macht, baut Jacobs nun nach beinahe einem Jahrzehnt wieder in der Kölner Philharmonie auf – und bietet eine komplett neue Star-Besetzung vom Freiburger Barockorchester bis zum Bass Konstantin Wolff in der Titelpartie.
René Jacobs, Freiburger Barockorchester, Konstantin Wolff, Rosemary Joshua, Sophie Karthäuser u.a.: 1. Dezember 2013, Philharmonie Köln; www.koelner-philharmonie.de