Text ULRICH DEUTER
Jeder hat heute täglich mit Design zu tun, Hybrid-Design. Jede geöffnete Website oder Verpackung, jedes Geschäft, das man betritt, oder Auto, in das man sich setzt, jede Zeitschrift oder Zahnarztpraxis präsentiert nicht mehr lediglich ein Aussehen. Sondern möchte ein »Erlebnis« in Gang setzen, eine »Welt« anbieten und Zugehörigkeit stiften, ist bereit für selbstbewusste sinnliche Herausforderung. Ja, steht an, aus dem Konsumenten einen besseren Menschen zu formen.
»Alles ist Design« verkündet mit Siegerlächeln der Untertitel der Bonner »Bauhaus«-Schau. Will sagen: Es ist geschafft, die heutige Allgegenwart von Design und Ausweitung seines Begriffs, aber auch das künstlergleich starke Selbstgefühl der Designer haben ihre Wurzeln in jenem 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründeten »Labor der Moderne«, das die Gestaltung von Alltagsräumen und Gebrauchsgegenständen als gesellschaftlich-emanzipatorischen Akt begriff. Das Künstler, Architekten, Handwerker gleich ernst nehmen und die Grenzen zwischen ihnen verwischen wollte. Das entschlossen war, die Herausforderungen seiner Zeit – Maschine, Masse, Verkehr – mit neuem Denken und neuen Methoden gestalterisch zu bewältigen.
Unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs war ein gewachsenes Ordnungsgefüge bis in die Grundfesten zerstört; übermächtig war die Vorstellung, die Gesellschaft müsse nun ganz anders aufgebaut, das Leben völlig neu geführt werden. Das Bauhaus sollte die Keimzelle dieser Umgestaltung werden, Gropius, dem 1883 in Berlin geborenen Architekten, schwebte eine Novelle der mittelalterlichen Bauhütte vor, seine Kathedrale war die zu errichtende Neue Zeit.
Kann man so etwas in einer Ausstellung zeigen: Tiefe der Verunsicherung hier, Unbedingtheit des Aufbruchswillens dort? Vermutlich müssten die (Bilder der) Schlachtfelder von Verdun hinzu treten, um die Größe der bauhäuslichen Sehnsucht nach Klarheit durch Linie und Sinnstiftung durch Form deutlich zu machen. Aber diese Dimension fehlt in der Bundeskunsthalle. Auch wenn immer wieder betont wird, wie tief der Bauhaus-Begriff gegründet war – »Design war im Verständnis des Bauhauses nicht nur Produktgestaltung, sondern auch eine Form des Denkens und eine Haltung der Gesellschaft gegenüber« –, die vier Abteilungen der Schau bewegen sich ausweislich ihrer Exponate in einem von der sozial-historischen Wirklichkeit abgesonderten ästhetischen Experimentallabor.
Das ist reich ausgestattet; angeblich handelt es sich um die erste umfassende Bauhaus-Ausstellung überhaupt. Aberdutzende von Zeichnungen, Plakaten, Skizzen, Briefen, Fotos, Texten, Entwürfen zu Raum, Zeit, Gesellschaft, Farbe, Leben, Menschheit, Materie, Idee und Funktion füllen das obere Stockwerk, man muss auch gar nicht weit gehen, um auf den ersten Stuhl von Marcel Breuer zu stoßen, »Ti1a«, jenes Objekt von 1922 aus zehn gleich langen Latten, zwischen denen Stoffbahnen gespannt sind: ein Stück Raumkonzept, zum Sitzen ungeeignet. Aber das Scheitern war im Bauhaus erlaubt. Etwas weiter hinten dann der entschieden funktionalere »B33« von 1927/28, als Freischwinger ein Sitzmöbel ohne die bis dato für unentbehrlich gehaltenen Beine und aus dem Material, das Breuers neues Fahrrad so erstaunlich stabil machte: Stahlrohr von Mannesmann. Auch fast ein Jahrhundert später noch gebaut (und kopiert) und rückenschädlich.
In Ausstellung und Katalog kommen per Video oder Text zahlreiche zeitgenössische Designer zu Wort, die ihre tiefe Verbundenheit zum Bauhaus bekunden. Dass die Weimarer, ab 1925 Dessauer Schule die historische Weiche in eine Richtung stellte, in der Gestalter immer noch unterwegs sind, ist unbestritten, aber eine Binse. Es qua Objekt zu beweisen, was ein Leichtes gewesen wäre, geht man in Bonn konsequent nicht an. (…)
Den v0llständigen Beitrag lesen Sie in der gedruckten Ausgabe von K.WEST.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, »Das Bauhaus: Alles ist Design«, bis 14. August 2016.