TEXT: STEFANIE STADEL
Erst das Klacken, dann ein Quietschen, mit sanftem Surren schiebt sich schließlich das weiß gerahmte Quadrat vorn aus dem Schlitz heraus. Gierig entgegengenommen, entwickelt sich vor unseren Augen das Foto. Oft scheint es unscharf, überbelichtet, abenteuerlich verfärbt – doch können diese Macken der Faszination kaum etwas anhaben. Auch Andy Warhol war dem Sofortbild verfallen. Selten ging er ohne seine SX-70 aus dem Haus, und auf Partys knipste er, statt zu tanzen. Für ihn war Polaroid »ein großartiges Spielzeug«, weil er damit Bilder machen konnte, ohne zu arbeiten. »That’s like a mini-factory«, bemerkt er und trifft damit die Sache eigentlich ganz gut. Tatsächlich war es dem Erfinder, Edwin Land, 1947 gelungen, ein Stück Dunkelkammer ins Kameragehäuse zu verlegen.
Warhol steht bei weitem nicht allein da mit seiner Begeisterung für diesen Wunder-Apparat. Erstaunlich viele zum Teil recht namhafte Künstler fanden in den letzten paar Jahrzehnten Gefallen an den imperfekten Fotos. Allein auf der Liste der großen Polaroid-Ausstellung jetzt im Düsseldorfer NRW-Forum stehen rund 180 Namen. Wer sich nicht alles mit der Polaroid-Kamera abgegeben hat: Ansel Adams, Nobuyoshi Araki, Robert Mapplethorpe, Stephen Shore, Helmut Newton, Oliviero Toscani, William Wegman …
Ein Erfolg, der zuerst dem Firmengründer Land zuzuschreiben ist. Denn der war nicht nur ein genialer Erfinder, er war dazu ein findiger Unternehmer. Als solcher kommt er schon sehr bald auf die Idee, den renommierten Landschaftsfotografen Ansel Adams für seine Sofortbild-Sache einzuspannen. Adams wird bei Polaroid so etwas wie ein Hausfotograf, der in akribisch dokumentierten Testreihen fast jeden Film durchprobiert, bevor er auf den Markt kommt. Einen weiteren Coup landen Land und Adams dann Anfang der 60er mit ihrem originellen Tauschgeschäft: Künstler bekommen Kameras und Filme, wenn sie bereit sind, im Gegenzug ein paar ihrer Sofortfotos in die Firmensammlung zu geben. Weit über 16.000 Bilder kommen so zusammen. Das Meiste davon wird nach der Polaroid-Pleite vor ein paar Jahren bei Sotheby’s in New York in alle Winde zerstreut – unter großen Protesten, aber mit zum Teil beträchtlichen Erlösen.
Der europäische Teil der Sammlung, rund 4.400 Bilder, kann »gerettet« werden. »In letzter Minute«, so formuliert es der »Retter«, ein Wiener Unternehmer namens Peter Coeln, der die Bilder seither daheim, im privaten Westlicht-Museum, und anderswo präsentiert. Aus Coelns Fundus speist sich nun auch die Düsseldorfer Ausstellung. Warhol, der mit seiner Polaroid-Kamera eigentlich lieber Freunde ins Visier fasste, zeigt sich hier ausnahmsweise einmal selbst – niesend vor der Kachelwand und anschließend schniefend mit Papiertaschentuch vor dem Gesicht.
Besonders stark vertreten sind im NRW-Forum die 70er Jahre. Als sich gemeinsam mit Warhol die ganze Szene – Performance-, Happening- und Concept-Künstler – ja überhaupt alle Welt auf die einfache, günstige, zusammenklappbare SX-70 stürzt. Auch Helmut Newton entdeckt sie damals für sich und seine Arbeit. Er benutzt den praktischen Apparat gern und ausgiebig bei seinen Shootings, weil er ihm schnell und mühelos vorbereitende Ideenskizzen liefert – ein typisches Beispiel für seine heißkalten Akt-Arrangements auf Polaroid bietet sich nun auch in der Ausstellung. Newton waren seine »Pola-Women« so wichtig, dass er ihnen 1992 gar ein eigenes Buch widmete, das allerdings bald in die Kritik geriet. Zu beiläufig und unvollkommen seien diese Bilder, hieß es. Doch gerade das fand Newton so spannend an ihnen: »die Spontaneität, das Schnelle.«
Neben den geläufigen Kleinbildern aus der vergleichsweise handlichen SX-70 hat die Düsseldorfer Ausstellung auch eine ganze Menge Sofortbild-Spezialitäten zu bieten: Von kleinen Schwarzweiß-Schnappschüssen aus den 60er Jahren bis hin zu Raritäten, die es auf 50 mal 70 Zentimeter bringen. Genug Platz für einen von William Wegmans berühmten Weimaraner Hunden, abgelichtet 1987 rücklings auf dem Sofa. Das sieht lässig aus. Doch dürfte es einiger Mühen bedurft haben, den Hund aufs Riesenbild zu bannen. Allein schon wegen des Equipments – einer Holz-Kamera von über 100 Kilo.
Heute wecken Lands Erfindungen eher nostalgische Gefühle. Man mag Gefallen finden an der Unvollkommenheit der Polaroids, auch an ihrer Ehrlichkeit. Doch die digitale Bilderflut hat das Medium längst in die Nische gedrückt. 2008 stellte der amerikanische Konzern denn auch seine Produktion ein. Allerdings ruhte sie nicht lange – vor zwei Jahren nahm die Wiener Firma »Impossible« sie erneut auf, brachte dazu die Maschinen des Polaroid-Werks im niederländischen Enschede wieder in Gang. Die Nachfrage sei groß, heißt es. So spricht die Düsseldorfer Schau auch voller Elan von der »Wiederkehr der Polaroids« und fährt einige ganz aktuelle Arbeiten auf. Zu viel mehr als einer Randerscheinung auf dem großen Feld fotografischer Möglichkeiten wird das Polaroid es aber wohl kaum mehr bringen.
Immerhin wird das vertraute Klacken, das Quietschen und Surren auch in Zukunft nicht ganz verstummen.
NRW-Forum, Düsseldorf, bis 5. August 2012. Tel. 0211/89 266 9. www.nrw-forum.de