Hanns Hatt ist Senior-Professor an der Ruhr-Universität Bochum und mittlerweile international bekannt für seine Erkenntnisse auf dem Gebiet der Riech- und Duftforschung. Kurz vor Weihnachten erscheint sein neues Buch »Die Lust am Duft«. Ein Gespräch über die faszinierende Welt, die sich nur mit der Nase und erschließen lässt und (auch) die heilende Wirkung von Düften in der Medizin.
kultur.west: Herr Hatt, während ihrer Corona-Erkrankung haben viele Menschen zeitweise den Geruchssinn verloren. Merken Sie, dass er dadurch eine andere Aufmerksamkeit erfährt?
HATT: Absolut. Ich höre von vielen, die mir schreiben, dass Corona ihnen erst bewusst gemacht hat, welche Bedeutung Riechen doch in ihrem Leben hat. Das hat das Bewusstsein dafür geschärft und kommt unserer Forschung zu Gute. Im Übrigen sagen auch die Astronauten, die aus dem All zurückkehren: Das Tollste ist, dass sie wieder die Erde riechen können. Was Corona angeht, wundert mich übrigens, dass noch niemand untersucht hat, wie sehr die FFP2-Masken eigentlich unseren Geruchssinn tangieren. Man riecht nicht mehr, verliert die Duft-Eindrücke, die man hat von den Mitmenschen und der Umgebung. Wir wissen, wenn ich einen Sinn beim Menschen wegnehme, dass dann auch viele andere Defizite entstehen. Nicht nur, dass man nicht mehr sehen, hören oder riechen kann, es kann sich auch auf die Stimmung auswirken – man wird vielleicht depressiv.
kultur.west: Würden Sie sich deswegen gegen den Einsatz von FFP2-Masken aussprechen?
HATT: Man muss natürlich abwägen, was das Gute ist. Ich würde aber auf jeden Fall einmal anschauen, welche Sekundärfolgen das Tragen hat und man sollte sie vielleicht an allen Orten, wo sie nicht zwingend notwendig sind, tunlichst vermeiden. Natürlich muss man alte und kranke Menschen schützen. Aber an Schulen und Kindergärten wird ja zurecht darüber diskutiert, welchen Nutzen sie haben – und in Zügen Masken zu tragen und im Flieger gar nicht, das halte ich für absurde Auswüchse, die zu hinterfragen sind.
kultur.west: Sie sprachen vorhin vom Duft-Eindruck der Mitmenschen oder der Umgebung. Wie nehme ich den eigentlich wahr – nur mit der Nase oder auch anderen Riech-Rezeptoren, die ja Gegenstand Ihrer aktuellen Forschung sind?
HATT: Dabei spielt eigentlich nur die Nase eine Rolle, weil nur die Riech-Rezeptoren in der Nase die direkten Verbindungen über die Riechzellen zum Gehirn haben und damit Wohlbefinden oder ein schlechtes Gefühl auslösen können. Im Gehirn sind Düfte sozusagen abgespeichert als positiv oder negativ und so werden diese Gefühle durch das Riechen ausgelöst. Das kann von Mensch zu Mensch höchst unterschiedlich sein und es ist schwer vorherzusagen, was das Riechen mit der Nase mit dem Menschen macht. Es hängt ab von der Erziehung und persönlichen Erfahrung. Deshalb sind Gerüche auch therapeutisch nicht leicht einzusetzen. Die Wissenschaft hat noch keinen Duft entdeckt, der für alle Menschen weltweit gleich wirkt, als angenehm oder unangenehm empfunden wird.
kultur.west: Werden diese Empfindungen auch über Generationen weitergeben, wie man es von Traumata vermutet?
HATT: Man weiß, dass die Embryonen schon im Mutterleib riechen können, die letzten Schwangerschaftswochen riechen sie mit der Mutter mit und lernen da auch schon Düfte kennen und bewerten. Wir kommen also schon mit einem gewissen Duft-Gedächtnis auf die Welt.
kultur.west: Sind Sie gegen den Einsatz von Parfum?
HATT: Das würde ich nicht sagen. Man kann sich damit ja selbst etwas Gutes tun oder Wohlbefinden auslösen. Ein Punkt ist nur, dass man durchaus mit dem eigenen Schweiß Informationen gibt für den Mitmenschen, eine Art chemische Sprache. Die verhindert man, wenn man den Schweiß zu sehr beseitigt. Nach den Erkenntnissen, dass Duftrezeptoren überall am Körper zu finden sind, wäre es sicher sinnvoll, Parfum nicht direkt auf den Körper aufzutragen, sondern wie man das früher gemacht hat: auf die Haare oder die Kleidung.
kultur.west: Ihr neues Buch, das Sie gemeinsam mit Regine Dee geschrieben haben und das kurz vor Weihnachten erscheint, heißt »Die Lust am Duft«. Eine Bilanz Ihrer Forschung?
HATT: Ich würde sagen, eine Zwischenbilanz. Wir haben versucht, in kürzeren Geschichten die ganze Breite dessen zu erzählen, was Düfte mit uns anstellen können. Zwei Aspekte werden in den Vordergrund gestellt: Mit Düften verführen – und heilen. Dadurch, dass wir Duftrezeptoren in der Haut, im Herzen, im Darm überall gefunden haben, wäre die nächste große Frage für die Wissenschaft: Warum sind die da? Der Körper würde nie etwas herstellen, das er nicht wirklich braucht. Von einigen wissen wir schon etwas: Sie können das Herz schneller schlagen lassen oder im Darm Verdauungsenzyme ausschütten, in der Haut Wundheilung beschleunigen oder die Haare länger leben lassen. An kranken Zellen verändern sie sich – so kann man kranke Zellen unter anderem an der Komposition der Duftrezeptoren erkennen und wir wissen mittlerweile auch, dass sie das Wachstum von Krebszellen verändern können. Man kann auch den Blutdruck senken oder erhöhen durch Duftrezeptoren in der Niere. Da liegt ein riesiges Potential.
kultur.west: Der Klappentext Ihres Buches deutet an, dass Hunde bei der Erkennung von Tumorzellen eingesetzt werden können?
HATT: Man weiß schon lange, dass man Hunde trainieren kann, Brust- oder Lungenkrebs zu erkennen. Ob die Tumorzellen Düfte aussenden, ist fraglich, aber jedes Gewebe hat einen bestimmten Besatz an Riech-Zellen. In der Nase sind es 350, in der Haut etwa 20 bis 30 davon. Beim Hautkrebs kommen auf einmal andere dazu – und wenn diese Krebszellen zerfallen, setzen sie eine andere Duftzusammensetzung frei. Daran können Hunde es erkennen – wie auch Diabetes und anderen Krankheiten. Momentan wird auch daran gearbeitet, Sensoren zu erfinden, die wie die Nase des Hundes funktionieren. Übrigens hat auch Burkhard Ubrig vom Bochumer Augusta-Krankenhaus nachgewiesen, dass man über Duft-Marker im Urin herausfinden kann, ob jemand Blasenkrebs hat.
kultur.west: Wann ist Ihnen klar geworden, dass Sie dem Riechen Ihre Forschung widmen wollen?
HATT: Ich habe mich als junger Mensch vor allem für Schmetterlinge interessiert. Meine Diplomarbeit im Biologie-Studium habe ich am Max-Planck-Institut in Seewiesen geschrieben und dort arbeitete ein berühmter Riech-Forscher, Professor Schneider, der das Riechen bei Nachtfaltern untersuchte, wie die Männchen die Weibchen finden. Dabei ist meine Liebe zum Riechen, zum Duft entstanden. Zwischendurch habe ich ja noch in Medizin promoviert und dieses Wissen dorthin transferiert. In Bochum hatte ich dann die Chance, mit einem Lehrstuhl in der Biologie das Riechen beim Menschen zu erforschen.
kultur.west: Sie sind mittlerweile 75 Jahre alt, haben vor kurzem 50-jähriges Dienstjubiläum gefeiert. Ihre Professur wollen Sie aber weiter ausfüllen?
HATT: Im Moment bin ich an der Ruhr-Universität beschäftigt als Seniorprofessor, habe meinen Vertrag bis Ende nächsten Jahres verlängert. Ich habe ein Labor und Doktoranden, aber muss im Moment keine Vorlesungen mehr halten.
kultur.west: Ist es schwierig, eine Nachfolge für Sie zu finden?
HATT: Die Fakultät hatte kein Interesse, eine Nachfolge für mein Gebiet, die Riechforschung, zu finden. Sie wollten jemand ganz anderen, der eher mit Mäusen und Tieren arbeitet als mit Menschen. Das ist leider an der Uni oft so, dass die nachfolgenden Kollegen andere Interessensgebiete haben – nicht wie in der Industrie, wo versucht wird, ein erfolgreiches Gebiet weiterzuführen.
kultur.west: Gibt es deutschlandweit weitere Forschende zu dem Thema?
HATT: Leider gar nicht. Ich hatte internationale Kooperationsverträge, zum Beispiel mit Südkorea, da ist das ganz intensiv gemacht worden. In China und den USA wird auch viel dran gearbeitet, in Yale und in Harvard. Ich denke, es wird auch wieder mehr werden, weil wir letztens im führenden Wissenschaftsmagazin Nature eine Veröffentlichung darüber hatten, welche Bedeutung die Geruchsrezeptoren außerhalb der Nase haben. Nach diesem Sonderheft wird sicher klar werden, welches Potential diese Forschung hat.
Hanns Hatt, geboren 1947 im schwäbischen Illertissen, promovierte 1976 an der LMU München in Zoologie, promovierte und habilitierte später an der TU München dann auch noch in Medizin. Seit 1992 ist er Professor an der Fakultät für Biologie an der Ruhr-Universität Bochum und mittlerweile international bekannt auf dem Gebiet der Geruchsforschung. Er konnte unter anderem den ersten menschlichen Riechrezeptor entschlüsseln, in seinem Labor wurden wichtige Funktionen von Riechrezeptoren in Spermien des Menschen gezeigt und auch über 20 Duftstoffe im Vaginalsekret von Frauen beschrieben. 2019 besetzt er die Stiftungsprofessur der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz zum Thema »Die Macht der Düfte«.
»Die Lust am Duft«
Hans Hatt und Regine Dee
Springer Verlag
144 Seiten, 17,99 Euro