Es war im vergangenen Jahr, als der Google-Ingenieur Blake Lemoine behauptete, die Sprachmodell-KI LaMDA habe ein Bewusstsein und zeige Gefühle. Der Entwickler wurde kurz darauf aus dem Unternehmen entlassen. In der Wissenschaft komme man mit der Behauptung, aus Maschinen Menschenfiguren zu machen, nicht so weit, meint die Bühnenbildnerin Thea Hoffmann-Axthelm. In der Kunst sieht das anders aus. Also hat sie zusammen mit der erfolgreichen Regisseurin Elsa-Sophie Jach ein Stück entwickelt, in der zwei Roboter auf der Bühne sich lieben und leiden. Das war 2021, schon vor LaMDA. Jetzt zeigen sie »Nessun Dorma«, ihren »musikalischen Liebesdiskurs für zwei Roboter« im Schauspiel Essen, im umgebauten Theaterraum ADA, unter der neuen Intendanz von Selen Kara und Christina Zintl. Und das Thema ist nach wie vor hochaktuell, die Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz (auch in der Kunst) unerlässlich und die Frage, ob ein Chatbot echte Emotionen entwickeln kann, brisanter denn je.
»Wissenschaft und Technologie sind Felder, die unser zukünftiges Zusammenleben stark beeinflussen werden, und sie mithilfe von Maschinen und KI spielerisch und angstfrei zu untersuchen, scheint uns ein sinnvolles Vehikel zu sein, um Widersprüche, Vorurteile und eben Ängste zu überwinden und Verbindungen zu suchen«, erklärte Hoffmann-Axthelm ihr Anliegen in einem Interview. Da treffen also zwei Maschinen aufeinander – der Industrie-Roboter Arka und der Putzroboter Putzini. Sie begegnen sich in einer Galerie, in der Arka Kunstwerke malt und Putzini sauber macht. Sie lieben sich, sie trennen sich und Putzini komponiert auf Basis komplexer Algorithmen und neuronaler Netzwerke eine Todesarie. Für Elsa-Sophie Jach und Thea Hoffmann-Axthelm war es naheliegend, das Nachdenken über Menschlichkeit und die Liebe musikalisch zu inszenieren. Es ist die Arie, die in der Oper Emotionen Raum gibt.
Für ihr Projekt, das 2021 in Graz Premiere feierte, arbeiteten die beiden Theatermacherinnen mit Musikern und KI-Experten, mit kreativen (Elektro-)Technikern, mit Physikern und Experimentalforschern zusammen. Die bauten die Apps, die Roboter, kümmerten sich um Hardware- und Codingprobleme. Malroboter Arka wurde dazu erschaffen, mit Hilfe seiner mechanischen Fähigkeiten einen künstlerischen Ausdruck seiner Stimmung zu finden. Und Putzini, dieser selbstgebaute Saug- und Wischroboter, wurde aufgerüstet mit Kamera, Lautsprechern, Orientierungssinn und einer musikalischen KI. Was für ein Paar! Die zwei können real zuhören und auf das Gehörte reagieren.
Die 32-jährige Regisseurin und Dramatikerin Elsa-Sophie Jach arbeitet unter anderem regelmäßig am Theater Münster. 2022 inszenierte sie dort mit der »Orestie« die erste große Schauspielpremiere unter der neuen Schauspielleitung von Remsi Al Khalisi. Im nächsten Jahr wird sie in Münster Büchners »Leonce und Lena« und »Lenz« zu einer Bühnenerzählung zusammenfügen. Seit der vergangenen Spielzeit ist Jach Hausregisseurin am Münchner Residenztheater. Sie erhielt Nennungen zur Nachwuchsregisseurin des Jahres und wurde für den Nestroypreis nominiert. »Ich denke Sprache vom Klang«, erzählt sie über ihr Arbeiten. Für »Nessun Dorma« hat sie den Text selbst geschrieben. Musik spielt in dieser Produktionen wie in all ihren Inszenierungen eine große Rolle, hier allerdings generiert von einer KI. Theater als Experimentierfeld eben.
Premiere: 25. November, Schauspiel Essen, ADA