TEXT: STEFANIE STADEL
Sie hat vieles ausprobiert: bei einer Fotografin assistiert, Webseiten gestaltet, in Online-Redaktionen gejobbt, einen Ausstellungsraum mitbetrieben. Und ganz wichtig: die Kunst. Im Anschluss an das Studium bei Jürgen Klauke an der Kunsthochschule für Medien in Köln war Charlotte Desaga sogar recht erfolgreich auf dieser Schiene unterwegs. Doch nach ein paar Jahren sah sie sich in der Sackgasse. Wenn man Desaga heute nach ihren damaligen Kunstwerken fragt, fällt die Antwort sparsam aus. Ob sie etwas zeigen kann von dem, was sie damals gemacht hat? Sie zieht die Schultern hoch und schaut sich um – nein, keine Arbeiten im Haus, keine Kataloge, auch keine Abbildungen im Computer.
Es liegt sicher daran, dass Desaga sich inzwischen auf der anderen Seite sehr wohl fühlt. Nach all den Umwegen ist sie angekommen, offenkundig. In ihrer eigenen Mini-Galerie. Desagas bescheidenes Traumhaus liegt nicht im Belgischen Viertel, wo die Kölner Kollegen so gern hinziehen. Zu teuer. Sie wählte die günstigere Variante am nördlichen Rand der Innenstadt, zwischen Türkenläden und »Saturn«. Da trifft man die 33-Jährige hinter ihrem Notebook inmitten ironisch belebter, konzeptuell inspirierter Objekte – Torten, Stehlen, Stahlträger –, die der junge Ben Schumacher dort auf den Boden gelegt, an die Mauer gelehnt oder mit Stahlseilen unter die Decke gehängt hat. Eine aufregende Sache für Desaga. Auch weil Schumacher eigens aus New York angereist war, um in ihren vier Wänden alles einzurichten.
Seit 2009 wirkt Desaga hier. In kleinem Rahmen, doch mit großen Ambitionen. Sie will Netzwerke schaffen, auch junges Publikum – die Sammler von morgen – ansprechen, Kunst in die Diskussion bringen. Ziele, die sie zuweilen auch aus dem engen Raum hinaustreiben, nach unüblichen Ausstellungsorten suchen lassen. Im Herbst etwa wird sie im Altbau auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Ausstellung in vier Teilen starten; die Planungen laufen längst. Doch vorher steht natürlich noch die Art Cologne an. Mit nicht einmal zwei Jahren feiert ihre Galerie bereits den zweiten Auftritt in den hehren Messehallen. Desaga kann sich durchaus etwas darauf einbilden, denn man lässt ja bei weitem nicht jeden vor. Viele mühen sich Jahre ab, um so weit zu kommen.
Dabei wird auch den ausgewählten Junggaleristen, die bei der Art Cologne unter dem Label New Contemporaries laufen, kaum etwas geschenkt. Tausende muss Desaga für Standmiete und Transport aufbringen, ohne abzusehen, ob sie die Investitionen an den paar Messetagen auch wieder einspielen wird. Da kann man das Kribbeln in der Magengegend gut nachfühlen. Zumal die Unternehmerin den Galeriebetrieb nur mit Nebenjobs am Laufen hält. Unter anderem assistiert sie Andreas Schulze, der als Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrt. Das klingt nach viel Energie, Idealismus und Risikobereitschaft.
Die Junggaleristin selbst fügt ihren »unbedingten Gestaltungswillen« als wesentlichen Antrieb für das unwägbare, doch so arbeitsintensive Unternehmen hinzu. Ihr Hinterhof wirkt fast wie eine Art Gegenwelt zu jenem sonderbaren Glamour-Zirkus namens Kunstbetrieb, der seine Runden durch die Medien dreht. Mit allem, was dazu gehört: »Hype«, »Boom«, »Shootingstars« und Millionen-Mar-gen. Mit hochgejubelten Größen, für die Unsummen über den Tisch gehen.
Auch Messen sind bekanntlich beliebte Schauplätze für solche Geschäfte. Basel, Miami, London … Und demnächst eben Köln, wo sich die Art Cologne nach ach so verzweifelter Flaute unter dem neuen Kapitän Daniel Hug am mächtigen Aufwind berauscht. Wie wichtig auch die Jungen, Frischen, Unbekannten für den Erfolg des Ganzen sind, ist den Kölner Messemachern längst klar. Diesmal haben sie für das vor einigen Jahren eingeführte Segment der New Contemporaries über 40 internationale Kollegen ausgesucht, die sich oben in der Messehalle drängen. Immerhin elf davon kommen aus Köln, drei aus dem nahen Düsseldorf.
Desaga gehört zu den Allerjüngsten im Kreise der neuen Elite. Sie setzt in diesem Jahr auf die Malerin und Oehlen-Schülerin Bernadette Mittrup und auf Thorsten Schneider – ein ehemaliger Kommilitone aus Klaukes Klasse in Köln, beide Mitte bis Ende 30. Weil Desaga sich selbst die 30 Quadratmeter kleine New-Contemporaries-Koje nicht leisten kann, teilt sie Raum und Kosten mit der Galerie Warhus Rittershaus, die vor eineinhalb Jahren ihre Zelte in Desagas Nachbarschaft aufgeschlagen hat. Nur ein Stückchen die Straße hinauf, neben einem Kiosk sieht man ins Schaufenster. Selten sind die beiden Inhaber dort gemeinsam anzutreffen.
Denn Anna-Luisa Rittershaus und Alexander Warhus wechseln sich ab. Gerade ist Anna-Luisa dran, 29, von Hause aus Kunsthistorikerin und im Zweitberuf Hilfskraft an der Universität Düsseldorf. Am liebsten aber Galeristin, die gewandt und charmant über die Werke in ihren Räumen erzählen kann.
Die meisten der Künstler, die dort ausstellen, kennt sie schon jahrelang, aus Studententagen in Düsseldorf. An der Uni sei nur ältere Kunst dran gekommen. Aktuellen Input suchte sie sich dagegen in der Akademie. Da traf sie neben Alexander Warhus, der bei Albert Oehlen studierte, noch eine ganze Reihe »tolle Künstler – Leute, die mich absolut überzeugen konnten.« Gleichzeitig sei ihr klar geworden, wie schwierig es selbst für Top-Talente sei, nach dem Studium Fuß zu fassen. »Dass diese Künstler vielleicht nie beachtet werden, wenn man das nicht selbst in die Hand nimmt.«
Da sei dann sehr schnell die Idee aufgekommen: »Mensch, lasst uns das doch gemeinsam machen.« Zunächst hätten Warhus und sie nur an einen Ausstellungsraum gedacht, sich dann aber schnell für die professionelle Lösung entschieden: Ein privates Darlehen und die eigene Galerie. Sicher werde es noch einige Zeit dauern, bis sie das geliehene Geld zurückzahlen können, doch zeigt sich Rittershaus richtig zufrieden mit den ersten Schritten. Und kann es wohl auch sein.
Inzwischen ist ihr Kompagnon eingetroffen. Auch Alexander Warhus muss sein Budget aufbessern – als Assistent bei der Düsseldorfer Pflanzenkünstlerin Tita Giese. Kunst macht er nur noch für den Hausgebrauch. Doch scheint die malerische Vorbelastung und sein durch Albert Oehlen eher in Richtung wild geprägtes Auge im Programm der Galerie weiterzuwirken. Für den Auftritt bei der Art Cologne haben Warhus Rittershaus die beiden Düsseldorfer Akademie-Absolventen René Spitzer und Martin Weidemann ausgesucht.
Sozusagen Altersgenossen von Warhus. Tut es dem 31-Jährigen nicht manchmal leid, dass er die eigene Kunst der Galerie geopfert hat? »Überhaupt nicht«. Vielleicht sei es ja wirklich, wie Oehlen es immer prophezeit habe: »Einer ist immer der dumme, einer aus der Studenten-Clique macht immer den Galeristen.« In diesem Fall sei eben er derjenige, und auch glücklich damit. Auf die Frage nach den Aussichten, die er sich für sein Unternehmen ausrechnet, blickt der Künstlergalerist etwas unsicher zu seiner Geschäftspartnerin hinüber: »Dass ich jetzt nur nichts Falsches sage«. Hat er ein Ziel? Wann soll sich die Galerie selbst tragen? Man möchte Warhus fast glauben, wenn er erwidert, dass er sich darüber eigentlich bisher kaum Gedanken gemacht habe.
Neben solch angenehm idealistischen Youngsters finden sich im Kreise der New Contemporaries auf der Kölner Messe auch solche, die den Sprung in die Rentabilität und auf die internationale Bühne schon geschafft haben. Zu den Edelgewächsen im jungen Gemüsebeet zählt ganz sicher Daniela Steinfeld. Zwar ist ihre Galerie namens VAN HORN auch erst fünf Jahre alt, doch bereits recht weit oben angekommen. Seit einiger Zeit residiert sie in repräsentativen Räumen an der Ackerstraße in Düsseldorf-Flingern. Da sitzt die taffe Mittvierzigerin am großen Tisch und erzählt gerne ihre Erfolgsgeschichten.
Die Becher- und Dibbets-Schülerin hatte bereits eine gut zehn Jahre alte und sehr ansehnliche Künstlerkarriere hinter sich, als sie mal eine Pause brauchte. 2004 entschloss sie sich, einen Ausstellungsraum aufzuziehen, um »tolle Leute« nach Düsseldorf zu holen, die hier bisher nicht zu sehen gewesen waren. Als ersten schrieb Steinfeld den als Underground-Comiczeichner bekannten Robert Crumb an. »Hätte der nicht mitgemacht, dann gäbe es VAN HORN nicht«, sagt sie. Doch Crumb schlug ein und Steinfeld hatte ihre erste, viel beachtete Ausstellung. Es folgten Rudolf Steiner und Nicole Eisenman, die bei VAN HORN in ihrer ersten deutschen Einzelausstellung für Wirbel sorgte. Das alles noch ganz ohne kommerzielle Hintergedanken.
Die kamen erst ins Spiel, als 2005 der damalige Art-Cologne-Chef Gérard Goodrow bei Steinfeld anrief, um sie zur Teilnahme an der Messe zu bewegen. Da lag dann der Schritt in die eigene Galerie plötzlich ganz nah. Die eröffnete sie im Jahr darauf »ziemlich blauäugig« und ohne Businessplan. Die Kamera legte Steinfeld beiseite – man könne nur eins von beidem gut machen. Das tut sie mit voller Kraft voraus und mit einem Programm, in dem internationale Positionen mit Düsseldorfer Akademie-Abgängern zusammenkommen.
Bei der Art Cologne präsentiert VAN HORN Groß-Collagen von Jens Ulrich, in denen sich alte und neue Heldenbilder mischen. Sowie Aufsteiger Jan Albers, der eigens für die Messe sein bisher größtes Werk schafft – Steinfeld kündigt einen »echt meistermäßigen Auftritt« an.
Art Cologne, Köln. 13. bis 17. April 2011. www.artcologne.de
Galerie Desaga, Maybachstraße 172–174, Köln. Tel.: 0221/16931950. www.desaga.com
Galerie Warhus Rittershaus, Maybachstraße 96, Köln. Tel.: 0221/17933050. www.warhusrittershaus.de
Galerie VAN HORN, Ackerstraße 99, Düsseldorf. Tel.: 0211/5008654. www.van-horn.net