TEXT: STEFANIE STADEL
Es scheint etwas ruhiger geworden. Nach dem großen Foto-Hype hat sich das Interesse auf Normalmaß eingependelt. Vielleicht die rechte Zeit, noch einmal auf die Pauke zu hauen mit oft jungen, hoffentlich frischen, möglichst auch noch irgendwie richtungsweisenden Positionen. Diesen Versuch unternimmt nun das NRW-Forum in Düsseldorf. Man macht dort auf mit »dem großen Wandel in der Fotografie«, mit der »digitalen Revolution«. Verspricht uns Fotografen, »die die Diskussion der kommenden Jahre bestimmen werden.«
Solche Ankündigungen klingen aufregend und zeugen nicht zuletzt vom Publicity-Know-how der Initiatoren. Was die Sache allerdings wirklich spannend macht, ist die prominente Experten-Riege im Rücken des Unternehmens: Neben Werner Lippert vom NRW-Forum waren Fotografen-Star Andreas Gursky, der legendäre Modefotograf und Sammler F. C. Gundlach sowie Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie in Berlin, an der Auswahl der 40 Fotografen beteiligt. Außerdem im Gremium: Andréa Holzherr, Ausstellungsmanagerin bei der berühmten Agentur Magnum Photos, Thomas Seelig, Sammlungskurator am renommierten Fotomuseum in Winterthur, und Thomas Weski, früher Museumsmann, jetzt Professor in Leipzig und hervorragender Foto-Experte.
Jeder von ihnen warf ein paar Vorschläge in den Ring. Dabei hatte das NRW-Forum kein fest gefasstes Ausstellungs-Thema vorgegeben, sondern einfach nur nach zukunftsweisenden Positionen gefragt. Ein homogenes Bild zur Fotografie heute wird dabei kaum herauskommen. Eher eine Art Leistungsschau, die sicher Überraschungen birgt, in der man möglichen Tendenzen aber erst noch nachspüren muss. Nützen können da ein paar fachkundige Hilfestellungen. Beispielsweise aus dem Mund von
Kurator Thomas Seelig:
K.WEST: Die Schau im NRW-Forum proklamiert den großen Wandel, der sich gegenwärtig in der Fotografie ereigne – wie sehen Sie das?
SEELIG: Die Fotografie ist ja ständig in Bewegung – seit den Anfängen 1839 bis in die Gegenwart lebt sie aus der Erneuerung. Die Veränderung war also immer Teil des Programms, gerade in der künstlerischen Fotografie. Die entscheidende Wendung zum Digitalen ist letztlich nur ein weiterer Schritt in dieser fortwährenden Entwicklung.
K.WEST: Nun liegt diese wesentliche Wendung zum Digitalen ja auch schon einige Jahre zurück. An welchem Punkt steht die Fotografie heute?
SEELIG: An einem sehr interessanten Punkt – gerade weil der Wechsel schon etwas zurückliegt. Wenn ich an die Zeit um das Jahr 2000 zurückdenke, war das Austesten der digitalen Möglichkeiten natürlich sehr rudimentär, sehr stark Sandkasten. Erst allmählich ist der Diskurs um das digitale Bild herum gewachsen. Gleichzeitig hat sich das Spektrum der Fotografie bis heute natürlich extrem erweitert. Neben digitalen Bildern gibt es Projektionen, Applikationen, gedruckte Werke und weiterhin die klassischen Handabzüge.
K.WEST: Wie reagieren junge Fotografen auf diese neue Situation?
SEELIG: Jene, die ich für wichtig halte, befragen verstärkt ihr Medium, untersuchen in ihren Arbeiten die Bedingungen der Fotografie. Ihnen geht es einerseits darum, etwas abzubilden. Aber in jedem Fall auch um das visuelle Programm hinter oder unter dem Bild. Es gibt immer diese beiden Ebenen.
K.WEST: Sie haben eben die Masse an neueren fotografischen Möglichkeiten angesprochen – wie geht die jüngere Generation damit um?
SEELIG: Entscheidend erscheint mir, dass man bei all den vielen Instrumenten, die zur Verfügung stehen, sehr überlegt auswählt und auf einer eigenen künstlerischen Setzung beharrt. Viele der jüngeren Künstler arbeiten angesichts des riesigen Bildarchivs, das im Internet existiert, ganz bewusst mit der Reduktion. Man will weniger machen, weniger zeigen, spartanisch arbeiten.
K.WEST: Ein Trend?
SEELIG: Ja, es gibt schon so etwas wie eine Gegenreaktion auf eine Bildwelt, die uns von draußen zu erdrücken droht.
Kurator Thomas Weski:
K.WEST: Wie würden Sie den Stand der aktuellen Fotografie beschreiben?
WESKI: Im Grunde genommen geht eine Ära vorbei: Die analoge Fotografie ist am Ende. Ein sichtbares Zeichen dieses Prozesses ist ja auch, dass Kodak kürzlich die Gefahr einer Insolvenz bestätigt hat. Es besteht einfach kein Bedarf mehr an dem Material für die analoge Fotografie.
K.WEST: In welche Situation setzt diese Entwicklung junge Fotografen?
WESKI: Die jungen Fotografen wissen, dass sie mit einem Medium arbeiten, das in bestimmten Formen so gar nicht mehr existieren wird, ja in diesen Formen fast historisch ist. Als ich in den 70er Jahren mit dem Fotografieren anfing, war die Situation eine ganz andere. Da herrschte eher eine Art Aufbruchseuphorie.
K.WEST: Ein Zeitalter geht also zu Ende und ein anderes ist bereits in vollem Gange – das der digitalen Fotografie.
WESKI: Ja, man muss sich das einmal bewusst machen. Einst galt etwa der Zufall als prägende Eigenschaft der Fotografie. Henri Cartier-Bresson begab sich mit der Kamera auf die Jagd nach dem »entscheidenden Augenblick«. Heute sind das Dinge, die man mit digitalen Mitteln mühelos konstruieren kann.
K.WEST: Wie reagieren die Fotografen?
WESKI: In jedem Fall sind sie sich sehr bewusst darüber, was sie eigentlich tun. Sie reflektieren ihr Medium stärker als die Generationen vor ihnen und pflegen einen viel durchdachteren Umgang damit. Das betrifft übrigens auch die Wahl der Mittel – bietet sich inzwischen doch eine ungeheure Vielfalt an Möglichkeiten, unter denen man zu wählen hat.
K.WEST: Wohin wird die Reise führen, wollen Sie eine Prognose abgeben?
WESKI: Ich meine, dass die mit der analogen Fotografie verbundenen Merkmale wieder zunehmend eine Rolle spielen werden. Je digitaler unsere Welt wird, umso mehr wird es ein Zurücksehnen geben nach den charakteristischen Phänomenen: das Flüchtige, das nicht Ausgearbeitete, das Zulassen des Zufalls.
Thomas Seelig zu Rico Scagliola und Michael Meier:
Rico Scagliola (Jg. 1985) und Michael Meier (Jg. 1982) haben in den letzten Jahren gemeinsam ein gewaltiges Archiv zu Jugendszenen angelegt und aus dem Material eine umfangreiche Dia- und Videoinstallation gemacht. Dabei referieren sie auf andere wichtige Werke, die sich mit Jugendkultur auseinandersetzen – etwa von Nan Goldin. Gleichzeitig übertragen sie das Thema in eine neue Medialität. Es ist keine einfache Diaprojektion mehr, sondern eine vielfache, die nicht länger zwischen stehendem Bild und Videobild unterscheidet. Die beiden Künstler übersetzen die Fotografie, wie sie heute im Alltag geläufig ist, etwa bei den Facebook-Alben, in eine künstlerische Form und beziehen sich noch dazu auf die Geschichte des Mediums. Das macht die Position so intelligent und aktuell.
Thomas Weski über Laura Bielau:
Laura Bielau (Jg. 1981) denkt in ihren Werken sehr klug über das Medium Fotografie nach. Die Arbeit im NRW-Forum beispielsweise geht auf Albert Renger-Patzschs Buch »Die Welt ist schön« von 1928 zurück. Dabei bemüht sich Bielau um eine sehr individuelle Sicht von Welt mit den Stilmitteln einer dokumentarischen Fotografie. Es ist besonders dieser bewusste, präzise Umgang mit dem Medium und seiner Geschichte, der mir hier gefällt. Eben diese Reflektionsschiene scheint mir auch das Zeitgenössische an Bielaus Arbeit zu sein.
F.C. Gundlach zu Edgar Leciejewski:
Edgar Leciejewski (Jg. 1977) hat für seine Serie »Ghosts and Flowers« eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe ausgewählt, fotografiert und dann die einzelnen Personen am Computer anonymisiert. Seine großformatigen Arbeiten bieten eine Art Crossover: Sie werden digital aufgenommen, bearbeitet und dann wie analoge Fotografien abgezogen. Interessant finde ich die Vermischung von Privatem und Öffentlichkeit in diesen Arbeiten, und mich fasziniert das virtuose Spiel mit den Techniken.
Andréa Holzherr über Mikhael Subotzky und Patrick Waterhouse:
Mikhael Subotzky und Patrick Waterhouse (beide Jg. 1981) machen in ihrem Projekt »Ponte City« ein Hochhaus in Johannesburg zum Thema. Mit Fotos, historischem Archivmaterial, gefundenen Objekten und Interviews gehen sie der bewegten Geschichte dieses Hauses nach, das noch während der Apartheid für die weiße Mittelschicht gebaut, dann aber vorwiegend von schwarzen Arbeiterfamilien bezogen worden ist. Beeindruckend finde ich die Art und Weise, wie es ihnen gelingt, auf der Grundlage des Dokumentarischen ein Kunstprojekt zu entwickeln.
4. Febr. bis 6. Mai 2012. Tel.: 0211/8926690. www.nrw-forum.de