TEXT: KATJA BEHRENS
Bilder können ein machtvolles Propagandainstrument sein. Albert Kahns Absichten waren aber eigentlich ganz andere. Und so steht das riesige Farbbildarchiv des französischen Bankiers und Philanthropen in eher ungewollter Nähe zu einer Praxis, die wissenschaftliche Beschreibung und Klassifizierung fremder Kulturen in den Dienst imperialer Politik stellt. Das Landesmuseum in Bonn blättert jetzt in jenem Bilderschatz. Die Ausstellung »1914 – Welt in Farbe. Farbfotografie vor dem Krieg« macht bekannt mit Kahns ungewöhnlicher Idee: Am Vorabend des Ersten Weltkriegs wollte er den gesamten Planeten fotografisch erfassen – und verfolgte dabei kaum ethnografische Ziele. Vielmehr kann man das Projekt als ambitionierte Friedensmission verstehen. Fotografisch auf der Höhe der Zeit. Die problematischen Aspekte aber schwingen auch hier mit.
Die Schau bildet den Auftakt zum großen Verbundprojekt des Landschaftsverbands Rheinland. Unter dem gemeinsamen Motto »1914 – Mitten in Europa« soll es mit Ausstellungen, Exkursionen, einem Kongress und Forschungsprojekte an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erinnern. Das Gedenken an die vom amerikanischen Historiker George F. Kennan so genannte »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« also wird eingeleitet durch die Dokumentation einer friedensbewegten Mission. Denn Albert Kahn war überzeugt, dass die Kenntnis des kulturell Fremden das Verständnis unter den Völkern befördern würde.
KAHN SCHICKT FOTOGRAFEN UM DIE WELT
In seinem Auftrag reiste ab 1909 ein gutes Dutzend Fotografen in alle Winkel der Welt, um Bilder von unbekannten Völkern und ihren Bräuchen in die Heimat zu bringen. So kamen bis 1931 gut 72.000 Farbdiapositive und 180.000 Meter – das sind etwa 100 Stunden – Film zusammen. Taj Mahal, Eiffelturm und Chinesische Mauer. Der Brotverkäufer in Sarajevo, ein Waschplatz in Brest, der mongolische Reiter und ein Brunnen in Córdoba. 1914 muss die Welt nicht mehr schwarz-weiß sein. Ein selbstbewusster Chinese in blauer Jacke vor dem Tempel in Qufu und vier skeptische Geflügelverkäuferinnen im bunten Treiben auf dem Markt im serbischen Krusevac.
Hinter all dem steckten viel Geld und ein Mann von Welt: Abraham Kahn, am 3.März 1860 in Marmoutier im Elsass geboren, geht mit neunzehn Jahren nach Paris, nennt sich Albert und findet schnell eine Anstellung in einer Bank. Nebenbei studiert er Geistes- und Naturwissenschaften und macht 1885 auch ein Staatsexamen in Jura. Er freundet sich mit dem Philosophen Henri Bergson an, schließt Freundschaft mit Künstlern wie Auguste Rodin, Anatole France, Paul Valéry und Raymond Barrès. Souverän bewegt Kahn sich in den intellektuellen Zirkeln und ebenso in der Welt der Hochfinanz. Mit Spekulationen macht er ein Vermögen. Albert Einstein, Austen Chamberlain und Thomas Mann gehören zu den regelmäßigen Gästen auf seinem 1893 erworbenen Besitz in Boulogne-Billancourt, dem heutigen Musée Albert-Kahn. Dort initiiert der Gastgeber Gesprächskreise, umgibt sich mit der intellektuellen Elite seiner Zeit und gehört bald zu den reichsten Männern der Welt. Er gründet Stiftungen, sieht sich selbst als Botschafter des Friedens unter den Kulturen, ist beseelt von seiner Mission von sozialer Harmonie und Weltfrieden. Das ist der Beginn des »Archivs des Planeten«. Nicht in schwarzweiß, sondern in bunt legt er es an.
MIETHE ERFINDET DIE FARBKAMERA
Die Voraussetzungen liefert der deutsche Chemiker Adolf Miethe, Erfinder einer panchromatischen Filmbeschichtung. Schon 1903 hatte er eine Wechselschlittenkamera entwickelt, mit der man drei Aufnahmen hintereinander machen konnte, für Rot, Grün und Blau. Mit dem Dreifarbdruck hielt die Farbe Einzug in das noch junge Medium Fotografie. Die Autochromglasplatten der Gebrüder Lumière, 1904 patentiert, wurden seit 1907 dann für den großen Markt produziert, was freilich nicht bedeutete, dass sich die Massen das aufwendige Fotografieren damals tatsächlich leisten konnten. Kahn aber konnte.
Die Bilder von pittoresken Marktplätzen und verwinkelten Gassen, von monumentalen Bauten und traditioneller Tracht, von Bauern, Handwerkern, Opiumrauchern, Hühnerzüchtern und kleinteilig verbauten Städten erzählen von fernen Orten und der Pluralität menschlicher Lebensformen, die es zu bewahren gilt. Gleichzeitig – auch damit ist Kahn ein Kind seiner Zeit – glaubt er an den Nutzen des technischen Fortschritts und die Vorrangstellung der westlichen Zivilisation. In den Bildern aus den ehemaligen Kolonien, die bis 1914 entstehen, bleiben denn auch die Schattenseiten des Lebens unter der fremden Herrschaft so gut wie ausgeklammert. Die antikolonialen Unruhen und deren Niederschlagung, der die Fotografen durchaus begegnen, hinterlassen in den Bildern so gut wie keine Spuren – anders als die später vornehmlich in Frankreich und Europa entstehenden Aufnahmen, in denen der Krieg und seine Zerstörungen allgegenwärtig sind.
Im Übrigen helfen Kahn seine guten Beziehungen und Kontakte zur Kolonialadministration, auf deren Unterstützung und Einfluss vor Ort man oft genug angewiesen ist. Für seine illustren Gäste daheim hält Kahn Vorträge mit Film- und Diaprojektionen. Seine begeisterte und fast naive Hoffnung, mit den farbigen Bildern aus aller Welt die Menschen daheim zu bewegen, für ein harmonisches Miteinander der Kulturen einzutreten, sollte sich freilich nicht erfüllen. Der Krieg kam trotzdem. Geblieben ist ein unschätzbarer Fundus an Dokumenten und fotokünstlerischen Bildern, die nicht nur die Geschichte damaliger Kulturen, ihrer Architekturen, ihrer Rituale, Werkzeuge, Kleidung und Gebräuche erzählen, sondern gleichzeitig auch die Geschichte der frühen Farbfotografie und ihre Verwendung reich bebildern.
1929, infolge der Börsen- und Weltwirtschaftskrise, verlor Kahn sein gesamtes Vermögen. Er starb 1940 völlig verarmt.
24. September 2013 bis 23. März 2014, LVR Landesmuseum Bonn. Tel.: 0228/20700. www.rlmb.lvr.de. Das umfangreiche Programm zu »1914 – Mitten in Europa« findet sich unter: www.lvr.de