»Mit einem Mal«, so hat es Le Corbusier 1924 beschrieben, »greift man sich ans Herz und sagt: Das ist schön«. Zuvor habe man Steine, Holz und Zement herbeigeschafft und seinen Erfindergeist aktiviert. Und dann, ganz plötzlich, sei klar: »Das ist Architektur. Die Kunst ist anwesend.« Klingt einfach, war es natürlich nicht. Schon gar nicht, weil es dem Architekten in seinen bahnbrechenden Entwürfen um einen Baustoff ging: Beton. Kein zweites Material hat die Architekturgeschichte derart beeinflusst und dabei so stark polarisiert.
Wohnmaschinen oder Raumwunder
»Beton kann tiefe Gemütsbewegungen hervorrufen«, hat der Jahrhundertarchitekt Oscar Niemeyer gesagt und mit seinen kühnen Entwürfen etwa für die Hauptstadt Brasilia dem eigentlich schnöden Material ein Stück Poesie abgerungen. Es kommt eben darauf an, was man draus macht – Wohnmaschinen oder schlicht-schöne Raumwunder, wie sie heute etwa Daniel Libeskind oder Tadao Ando produzieren. »Der eigentliche Grund, warum ich mich auf Beton konzentriert habe, war, dass man damit die maximale Größe eines Raumes mit minimalem Aufwand zu niedrigen Kosten realisieren kann«, erklärte der Japaner jüngst in einem Interview mit dem Architekturmagazin »Betonprisma«.
Diese Eigenschaften hatten allerdings auch dafür gesorgt, dass Beton heute nicht nur das meistgeliebte, sondern auch meistgehasste Material ist. Nicht zuletzt wegen seines Images als kalter, unmenschlicher Baustoff, aus dem vor allem in den 1970er Jahren monotone, brutalistische Wohnsilos aus Fertigteilen entstanden. Weshalb sie mittlerweile oft so unansehnlich sind, hat auch mit der Beschaffenheit des damaligen Betons zu tun. »Heute ist die Betonschicht viel dicker als in den 70er Jahren«, erklärt der Betontechnologe Martin Peck. Früher sei der Anteil an Wasser höher, der des Zements geringer gewesen. Erst neue Bauverordnungen ab den 1980er Jahren hätten für eine höhere Qualität gesorgt.
Tadao Ando macht das Betongießen zur Chefsache
Das Faszinierendste am Beton ist seine Beschaffenheit: Zwei bis drei Stunden bleibt er flüssig. Dann härtet er, dem Zement sei Dank, selbst im Wasser aus und wird auch dann nicht mehr weich, wenn man ihn erneut mit Wasser konfrontiert. »Den Wasseranteil von Beton zu erhöhen, ist auf den ersten Blick ein effektiver Weg, um ebene und glatte Oberflächen zu schaffen, aber es verringert die Haltbarkeit des Betons sehr«, so Tadao Ando, der das Gießen von Beton zur Chefsache gemacht hat.
Erfunden wurde der Urbeton als »opus caementitium« von den Römern vor 2000 Jahren. »Werk aus Bruchsteinen« nannten sie ihre Mischung aus gebranntem Kalk, Sand, Wasser und Vulkanasche, die dem Baustoff eine bis dahin ungekannte Festigkeit verlieh – und etwa die gewaltige, 43 Meter hohe Dachkuppel des Pantheon in Rom erst ermöglichte. »Noch heute besteht unser Beton aus nur wenigen Bestandteilen«, sagt Ingenieur Martin Peck: aus Kies, Sand, Zement und Wasser. Ausgerechnet ein Gärtner hatte Mitte des 19. Jahrhunderts dafür gesorgt, dass das seit den Römern für einige Jahrhunderte vergessene Material auf die Baustellen zurückkehrte: Joseph Monier (1823–1906) störte die Kurzlebigkeit seiner Blumentöpfe aus Holz oder Ton; er entwickelte eine Variante aus Zement, der er eine Drahteinlage hinzufügte. Der Stahlbeton war erfunden.
Mikroglaskugeln für optische Effekte
Heute ist Stahlbeton mit über 100 Millionen verbauten Kubikmetern im Jahr der wichtigste Verbundwerkstoff Deutschlands. Laufend kommen Weiterentwicklungen hinzu. Beton mit Carbon statt Stahl. »BlingCrete«, in dem Mikroglaskugeln für optische Effekte sorgen. Oder Gradientenbeton, der wie ein Schokoriegel mit Puffreis funktioniert: Sein Material ist leichter, aber seine Form bleibt gleich. Grund dafür sind Hohlräume im Innern; das wiederum erfordert weniger Material und Energie, aber auch höhere Kosten. Auch Betonrecycling sei nach wie vor teurer, als neue Materialien zu verwenden, sagt Peck. Und was ist mit Beton aus dem 3D-Drucker? Der Betonexperte winkt ab: »Beim Bau eines Fertighauses ist solch eine Entwicklung sicher interessant«, so der Experte des Informationszentrums Beton der deutschen Zementindustrie. Schließlich würden die Drucker äußerst präzise arbeiten. Größere Bauprojekte seien jedoch so vielfältig und variantenreich, dass ein Beruf noch lange nicht abgeschafft ist: der des Betonbauers.