Rummelplatz. Hochschaukeln, Überschwang. So fängt es an. Von Anfang zu sprechen, wäre noch zu viel gesagt. Aber der Übermut der Jugend ist da und bleibt – nächtliches Tanzen auf Dächern, Wahrheitsspiele auf Partys, gemeinsamer Badespaß –, während sich die türkischstämmige Biologiestudentin Asli (Canan Kir) und Saeed Awad (Roger Azar), aus dem kriegsversehrten Libanon nach Deutschland gekommen, um Flugingenieur zu werden, ineinander verlieben.
Der traditionell begründete Vorbehalt von Aslis Mutter, die Witwe ist, und ihre Vorstellungen von dem, was Ehre und Respekt zu sein haben, und Saeeds konservativer Wunsch nach geordneten Verhältnissen und offizieller Bindung liegen jedoch anscheinend gar nicht weit auseinander. Die Zwei heiraten in einer Moschee.
Intensität ist der Impuls, aus dem heraus hier alles geschieht. Die Sprache der Liebe besitzt diese Vehemenz; und auch die filmische Sprache, mit der Anne Zohra Berrached inszeniert – beweglich, angespannt, voller Unruhe und nah dran. Die Filmemacherin, die von Vaterseite mit algerischen Wurzeln 1982 in Erfurt geboren und besonders mit dem Schwangerschaftsdrama »24 Wochen« bekannt wurde, protokolliert die Beziehung über eine Periode von fünf Jahren. Als Zäsur werden Jahreszahlen eingeblendet. Die Geschichte spielt ab Mitte der 1990er Jahre, einer Phase der Umbrüche, nicht nur im Nachwende-Deutschland. Unsicherheit und Misstrauen, auch Wut und Verzweiflung bei Asli und die eigenwillige Dominanz und Militanz in Saeeds Charakter und Mentalität passen ineinander, aber erzeugen ebenso Reibung und sind brandgefährlich.
Asli reist auf Besuch zu Saeeds wohlhabender Familie nach Beirut. Aber Saeed ist nicht dort, sondern vermutlich im Jemen. Zurück daheim, versucht sie seine biografischen Spuren zu entschlüsseln. Nach einem Jahr taucht er auf, offenbar islamistisch radikalisiert: Er habe »Scheiße gebaut«, sonst sagt er nichts; und zieht nach Miami – für seine Flugausbildung. Immer noch will Asli, vielleicht aus Bedürftigkeit, Schwäche und Verstehen-Wollen, die vielleicht andere Worte für Liebe sind, die Bindung oder ihre Fantasie davon halten – bis sie im Angesicht der brennenden Twin Towers der Schock der Fremdwerdung von Saeed erfasst. Und die Verblendung endet.
»Die Welt wird eine andere sein«, Regie: Anne Zohra Berrached, 119 Min., D / F 2021, Start: 12. August