TEXT: ANDREAS WILINK
Indien war gestern – heue wird Pakistan als Standort ins Visier genommen. Scheint profitabler und effizienter. Andererseits, ist die hinduistische Sanftmut nicht verlässlicher als das unberechenbar Aufrührerische des Islam? Frank Öllers und Kai Niederländer sind Unternehmensberater und weltweit unterwegs. Die Company ist ihre einzige Referenzgröße. Sie kommunizieren mit Russland und China. Asien oder Afrika, das macht für sie keinen Unterschied. Globale Verschiebemasse. Die Luxus-Hotels gleichen einander sowieso; und sollten es noch mehr tun, findet Niederländer, damit er im Schlaf den Lichtschalter finden und bei Gefahr selbst im Dunkel Koffer und Notebook zusammenraffen kann. Suiten, Roomservice, Minibar – das bleibt sich überall gleich.
Öllers (Devid Striesow in einer seiner Super-Performances) ist kurz angebunden, funktionstüchtig, gereizt, cholerisch – und zynisch geworden. Für ihn ist der Kapitalismus keine Weltrettungsmaßnahme, wie sich einige ideologisch schönreden, sondern ein Projekt zur Weltzerstörung, um dann alles neu aufbauen zu können: strukturreformiert. Auch seine Ehe bildet nur eine Position auf der Agenda. Gerade noch, dass Söhnchen Anton und dessen Neurodermitis seine Aufmerksamkeit binden. Dass seine Frau zuhause auszieht, gehört zur Negativ-Bilanz.
Niederländer (Sebastian Blomberg) ist Single, extremer Hypochonder, strampelt sich auf dem Home-Trainer ab und gerät außer sich, wenn er ein Schokotäfelchen als Betthupferl auf dem Kopfkissen findet oder ihn ein ominöser Insektenstich trifft. Pragmatismus und Neurose gehören bei ihnen zusammen. Kollegin Bianca (Katharina Schüttler), die zu ihrem Team stößt, aber eigentlich beide evaluieren soll, kommt mit den neokolonialen Attitüden dieser Soziopathen nicht klar. Dazu gehört die Ignoranz gegenüber dem, was draußen vor sich geht, die praktische Inanspruchnahme des Personals für andere Dienstleistungen oder die Bestellung von Koks und Nutten aufs Zimmer à la Immendorf. »Kannibalen« in Maßanzügen. Invasion der Barbaren.
Aber dann ändern sich die Verhältnisse in der Firma, Öllers und Niederländer scheinen nur anfangs von der Geschäftsübernahme zu profitieren. In Nigeria fallen Schüsse, der »Sound of Dschihad« dringt in ihre splendid isolation. Plötzlich sind auch die Kreditkarten gesperrt. Das System kollabiert.
Johannes Naber inszeniert eine Art deutschen »Margin Call«, dem Börsencrash-Thriller des J.C. Chandor – allerdings weniger hintergründig und etwas konfektionierter. Er verlässt sich nicht auf die psychologische Sprengkraft, die das erstklassige Darsteller-Trio durchaus ohne Dynamit herstellen könnte, sondern muss auch noch Bomben zünden und Rebellen das Hotel stürmen lassen.
Vor den schallisolierten Fenstern wachsen, egal wo Öllers und Niederländer sich aufhalten, Beton-Stelen. Sie suggerieren in ihrer Künstlichkeit und Kulissenhaftigkeit eine Skyline, aber symbolisieren eher noch ein Feld von Grabsteinen.
»Zeit der Kannibalen«; Regie: Johannes Naber; Darsteller: Sebastian Blomberg, Katharina Schüttler, Devid Striesow; D 2014, 93 Min. Start: 22. Mai 2014.