TEXT: ANDREAS WILINK
Als junger Mann entwickelt er seinen eigenen Rassen-Test: Wenn ein Bleistift im Kraushaar stecken bleibt, ist die Person schwarz. Im Südafrika der Apartheid herrschen freilich andere Definitionen und Gesetze. Nelson Mandela wird nicht nur deren Absurdität benennen, sondern sie brechen. Wir lernen den 1918 geborenen Königssohn (»Der, der an Bäumen rüttelt«) als Geisterbeschwörer seiner Familie und Kindheit kennen, der in der Steppe der Transkei seine Initiation in die Männerwelt erlebt, als Kind ins Wasser taucht und als Jüngling wieder den Fluten entsteigt. Schon dieses Bild stilisiert ihn zum Propheten und Messias: zum neuen Moses. Der Anwalt, der in Johannesburg seine entrechteten Brüder und Schwestern gegen die weiße Vorherrschaft verteidigt und erlebt, wie die Justiz wegsieht, statt den Totschlag eines Farbigen durch die Polizei zu ahnden, tritt dem ANC bei und wird bald zum wortmächtigen, tatkräftigen Führer. »Allein bist Du schwach«, sagt ein Mitstreiter und ballt die Faust, in der kein Finger mehr leicht zu knacken ist. Die Bürgerrechtsbewegung plant Aktionen, Streiks, Besetzungen und das Verbrennen der Ausweise, denn das schwarze Südafrika fühlt sich nicht von diesem Staat repräsentiert. Ähnlich wie Gandhi, der seine Erfahrungen ebenfalls als Anwalt in Südafrika sammelte, vertritt Mandela zunächst die Politik gewaltlosen Widerstands.
Parallel erzählt der Film von Mandela, dem Sohn, Vater und Ehemann, der sich von seiner ersten Frau trennt, um Winnie zur Frau zu nehmen, auf deren weiße Hochzeit die traditionell afrikanische erfolgt. Als die Gewalt in den 60er Jahren eskaliert und das Regime den Schießbefehl gibt, geht der ANC ins Exil oder in den Untergrund, bewaffnet sich und antwortet mit Sabotage: Terror für die Unterdrücker, Freiheitskampf für die Unterdrückten. 1963 werden Mandela und seine Leute verhaftet und zu Lebenslänglich verurteilt. Es folgen die 27 Jahre der Isolation, der Zwangsarbeit und Psychofolter, die Radikalisierung im Land, die höchst problematische Rolle Winnies in diesem Bürgerkrieg. Bei Mandela aber reift die Erkenntnis, dass nur friedliche Koexistenz eine Perspektive bietet: eine geistige Umkehr, die der des Paulus in nichts nachsteht. Er wird das Land in die Freiheit führen und 1994 der erste schwarze Präsident. All das erzählt Justin Chadwick eher in der gediegenen Nachfolge von Richard Attenborough, als im rüderen Stil eines Spike Lee: also satte Hollywood-Dramaturgie, wenngleich nicht so emotional und hochsymbolisch wie »Gandhi«, doch mit Idris Elba als fabelhaftem Hauptdarsteller in einer Reihe kaum bekannter Darsteller. Eine Chronik der politischen Gefühle.
»Mandela«; Regie: Justin Chadwick; Darsteller: Idris Elba, Naomie Harris u.v.a.; USA 2013; 152 Min.; Start: 30. Januar 2014.