Es erstaunt immer wieder, wie das kleine Kleve mit seinem Kurhaus-Museum Aufmerksam auf sich zieht. Es zeigt weniger Trends des Kunstmarkts als Künstler, die ihre Botschaften aus einer sehr persönlichen Sicht auf die Welt vermitteln. Dazu gehört Denise Green, die Introvertierte. Im ersten Ausstellungsraum des Museums hängen Federzeichnungen von 1976, die praktisch bereits das gesamte Vokabular der darauf folgenden 30 Produktionsjahre enthalten. Aus merkantiler Sicht ist eine solche Beschränkung auf wenige Motive unmöglich, weil erst das breite Spektrum gemeinhin für Erfolg sorgt. Green, 1946 in Melbourne geboren, verließ mit 17 Jahren ihre Heimat, um über Paris, wo sie an der Ecole des Beaux Arts studierte, nach Amerika zu kommen und am berühmten Hunter College die wichtigsten Protagonisten des abstrakten Expressionismus, Robert Motherwell und Mark Rothko, zu treffen. Seit 1969 lebt sie in New York. »Es war eine wundervolle Überfahrt«, kann sie noch heute schwärmen. Auf einem Blatt Papier ruht in der oberen Hälfte, wo sich sonst der Himmel dehnt, das Schiff. Die untere Hälfte ist frei gelassen. So wollte sie sich mit dieser leeren Fläche dem neuen Land öffnen. Die Federzeichnungen entstanden aus der Rückerinnerung.
Greens Bildfindungen sind nicht weltbewegend, aber für ihr Gefühl so wichtig, dass sich diese Energie auf den Betrachter überträgt. Das Ruderboot hängt im Netz der Tusche- Striche, als werde es ewig dauern, bis es an sein Ziel gelangt. Wie eine Nomadin umgibt die Künstlerin vier Stöcke mit einem Band, als werde da ein Innen- und Seelenraum erzeugt. Ihre Architektur ist fast kindlich einfach. Bestehend aus einem Zelt, einem Bogen, einem minimalen Turm. Noch eine Stufe, und man würde fallen. Aber die Treppe hat auch eine Öffnung ins Innere, als führe sie in einen kultischen Raum. Die Stufe könnte zugleich der Thron für einen König sein. Eine Silhouette verweist auf den griechischen Wagenlenker, er steht recht unbewegt da, gleich einer schlanken Skulptur von Giacometti, dessen figurativen Minimalismus Green schätzt. Seine Kunst entspricht ihrer eigenen Vorgehensweise, die sichtbare Welt zu reduzieren, so dass sie zu symbolgeladenen Kürzeln wird.
Rothko empfahl seiner Studentin, einfache Figuren in die Bilder einzuführen, weil die Abstraktion von seiner Generation schon ausgereizt sei. Sie hält sich daran. »Window« (1976) gibt ein frühes Beispiel. Das Fenster symbolisiert den Übergang der Innen- zur Außenwelt. Green malte es in jenem braunen Mennige, das seit Joseph Beuys und Blinky Palermo gern benutzt wird. Eine einfache Farbe für ein Rostschutzmittel im Alltag. Sie sagt, es sei »nicht erzählerisch, sondern neutral und assoziiert etwas anderes«. Seit ihrer Kindheit in Australien orientiert sie sich zugleich am Kolorit der Ureinwohner. Bei ihr wie bei den Aborigines geht es um innere Bilder, im rostroten Farbton etwa des heiligen, feurigen Ayers Rock der Wüstenzone. Gern nimmt sie Farben der Erde, manchmal natürliche Pigmente. Sie dienen dazu, existentielle Grundstimmungen auf einfache Weise zu artikulieren – Melancholie, Trauer und Einsamkeit, aber auch eine träumerische Versunkenheit. Empfindungen, die auch in der jungen Generation mit der Wiederkehr der Romantik aktuell sind.
»Vessel«, eine Vase für Wasser oder Wein, bildet Greens wichtigstes Motiv, seit sie 1977 während einer Romreise Tarquinia und die Villa Guilia besuchte und etruskische Amphoren, Krüge und Urnen sah. »Vessel« ist auch ein Behältnis im übertragenen Sinn, für Malerei und subjektives Erleben. In der Regel wählt Green eine recht neutrale, einfache Form, so dass viele Bedeutungs- Ebenen möglich sind. Sie erzählt, dass auf vielen Bildern der Renaissance der Engel der Verkündigung solch ein Gefäß neben sich habe. Eine Form gefüllt mit Bedeutung, die sie aber nicht kenne. Sie gibt dem »Vessel« einen schmalen Hals, färbt es Goldgelb und umrahmt es mit Grün, wie einen Schatten. Oder koloriert es im Pompeji- Rot, der Farbe der alten Welt.
Als Beuys 1974 seinen legendären Auftritt mit dem Schlitten in New York hatte, war sie fasziniert. Denise Greens Schlittenmotive sind seitdem eine Hommage an den deutschen Kunst-Schamanen. Sie liebt seine zugleich abstrakten und figurativen Arbeiten, seine archetypischen Bilder mit den einfachen Silhouetten. Sie entsprechen ihrem eigenen Tun.
Die Retrospektive in Kleve lässt sich nicht im schnellen Schritt erfassen. Da ist etwa ein simples Haus, einfach aus Grün. Aus dem Dunkel kommt das hellere Dach hervor, das lichthaft wirkt, aber der Konstruktion etwas Unstabiles gibt. »Trap« (Falle) nennt sie das Acrylbild. Die gesamte Komposition ist in derselben Farbe gehalten, beim Dach jedoch dünner aufgetragen. Ein Spachtelmesser dient ihr dabei. Dadurch bleibe die Oberfläche sehr plan und doch variationsreich. Immer bleibt Distanz in ihrem Werk erkennbar, die äußerst reduzierte Farb- und Formensprache, als müsse jeder Ich-Bezug, jedes eigene Gefühl von Expressionen frei gehalten werden. Als Green Dresden besuchte, um dort auszustellen, musste der Termin wegen der großen Flut ausfallen. Aber sie bekam einen Stein der Frauenkirche geschenkt. Und schuf daraufhin ein Memorial aus kleinen, quadratischen Bildern, mit dem Stein als Motiv. Die Bilder, im samtenen Ton einer Ölfarb-Wachs- Mischung, ergeben als Stapel jeweils eine Säule und korrespondieren hier nun mit den Säulen im hinteren Saal des Museums. Die Malerei sei eine Säule, so Greens Idee, die das Museum hält: »Wenn ich mit den Steinen aus dem Szenarium der Zerstörung eine Bildersäule mache, habe ich beides, Zerstörung und Wiederaufbau.« Das letzte Bild dieser Reihe zeigt eine Blume – blühend der Erinnerung.
Museum Kurhaus Kleve, bis 3. September 2006; Katalog deutschenglisch, Kerber-Verlag, 17,50 Euro; Tel.: 02821/75010; www.museumkurhaus.de