TEXT: ANDREAS WILINK
Wellenbewegungen auf der Spielfläch; ein Baum, der wachsend sein Geäst sträubt – produziert von einem Video-Zeichenstift in der Hand eines als Page kostümierten Design-Mitarbeiters. Ein Rausch. Dann die Ernüchterung im Hintergrund des Kölner Depots 2 mit einer postsozialistisch-trostlosen Wohnzelle – Heimstatt für Mutter und Sohn Andrej –, in der sich Ballonseide bläht. Wer Tarkowskijs Film kennt, wird sich an den Ballonflug am Anfang erinnern, der ein Bruegelsches Panorama vor uns ausbreitet. »Andrej Rubljow« ist eine große Passion – selbst eine Ikone, so wie die Geschichte von dem berühmten Ikonenmaler handelt. Zwölf Jahre nach Bergmans »Das siebte Siegel«, sieben Jahre nach Bressons »Jeanne d’Arc«, fünf Jahre nach Pasolinis »Erstem Evangelium Matthäus«, gedreht in einem hinreißenden Schwarzweiß.
Von der bildnerisch kargen Opulenz bleibt bei Robert Borgmann wenig. Das müsste kein Schaden sein, gäbe es einen zwingenden Gegenentwurf. Aber die vier Stunden, in denen die Figuren verschiedentlich die Erzählerrolle einnehmen, zerfasern und zerfallen in ausgestellt unfertige, antinaturalistische arte povera. Neben den Projektionen hat man nur ein paar Requisiten – Seil, Baumstamm, Erdhaufen, in dem die Schmuddelkinder sudeln. Eine lumpige Gegenwart, gemischt mit historischen Rekursen und sciencefictional in die Zukunft geführt. Da ist zum Beispiel die Schwanensee-Szene, die auf der Bühne albern als groteskes Ballett beginnt, bevor es mörderisch endet, wenn die schönen Tiere abgeschossen werden, lyrisch begleitet von Passagen aus der Vorlage. Ausgeblendet bleibt aber der dahinter stehende persönliche Konflikt, der die Bluttat befördert.
Worum geht es bei Tarkowskij / Borgmann? Um Glaubensfragen und -krisen angesichts des Elends in der Welt (im frühen 15. Jahrhundert, wo der Großfürst alleinherrscht und die Tataren-Horden das Volk massakrieren, und in der Ära des Stalinismus). Um die Möglichkeit der Kunst und des Künstlers in finsterer Zeit und den Zweifel, ob nicht das Ewige Licht im Schatten der Gewalt erlischt, ob also der Aufwand lohnt.
Andrej Rubljow ist, wie der faustische Komponist Adrian Leverkühn, jemand, der »die Elemente spekuliert«, während er und seine Mönchs-Brüder Daniel und Kyrill umherziehen. Niklas Kohrt spielt keinen Grübler, sondern ist ein heller schmaler Jünglingskopf, der sich wenig unterscheidet vom früheren Knaben, der bei der Mutter lebt und in einer irritierenden Golgatha-Szene gekreuzigt wird. Die Regie-Idee der Durchlässigkeit mit einer nach hinten hin offenen Zeit ist schön und gut, wenn sich Mann und Kind treffen, entwickelt indes bei Borgmann keine Suggestivkraft. Wie überhaupt die lange Dauer trotz minimalistischem Sphärenklang, Nebel und Wind ohne Aura bleibt, sondern penetrant und stumpf wird im provozierenden Vorführen seiner Mittel und einer gewollten Kunstlosigkeit, die schließlich noch das Außentor zum Hof hochschiebt und den Kunstraum mit Passanten und fahrenden Autos konfrontiert.
Einige intensive Dialoge (Andrej und sein Meister Theophanes) wechseln mit Energie kostenden, die Geduld strapazierenden Soli, vor allem gegen Schluss, wenn der Glockengießer-Sohn Boriska alles daran setzt, das durch Spenden gesammelte, geschmolzene und gehärtete Erz zum Tönen zu bringen. Die Schönheit des Kunstwerks motiviert Andrej, der ein Schweigegelübde abgelegt hatte, wieder zu malen und seine Künstlersprache neu zu gewinnen. Ursula Doll wirft sich für eine halbe Stunde in die Aufführungs-Leere. Ihr nicht, aber uns geht die Puste aus. Borgmanns an Castorf geschulte Verschleppungstaktik geht nicht auf. Als die Glocke fertig ist und ihr Ton weithin hallt, hat die Stunde Mitternacht geschlagen. Man versteht den Impuls nicht, der Borgmann motiviert, den Stoff an die Gegenwart und darüber hinaus heranzuziehen. Nicht so, nicht so lau, flau, flach.
»Der Mann, der den Engel gesehen hat«, lautet Tarkowskijs Grabinschrift auf dem Pariser Friedhof. Borgmann hat diese Erscheinung nicht gehabt.
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