Interview Andreas Wilink
Zwei Generationen treffen sich: Nicole Heesters, nicht nur familiär bedingt legendär, vielmehr auf den Bühnen von Düsseldorf und Bochum bis Hamburg, Berlin und Wien ob ihrer Präzision und Transparenz, Grandezza und makellosen Gedankenspielklarheit gerühmt und zuletzt mit dem österreichischen Nestroy-Preis und dem Düsseldorfer Louise Dumont-Topas geehrt, und Moritz von Treuenfels, der vor einem Jahr die Otto-Falckenberg-Schule in München beendete und ans Düsseldorfer Schauspielhaus engagiert wurde. Heesters (Staatsanwältin Nelson) und von Treuenfels (Angeklagter Koch) kommen ins Gespräch über von Schirachs »Terror«, den Spielraum des Stücks, Tapferkeit und den moralischen Standort, Instanzen und Hierarchien.
k.west: Hilft es, Kleist zu lesen…? Nicht von ungefähr bindet man am Schauspiel Frankfurt Kleists »Zerbrochnen Krug« und »Terror« zum Doppelabend.
Heesters: Immer. Ich habe es in diesem Zusammenhang noch nicht getan, aber stelle es mir höchst produktiv vor.
Treuenfels: Ich ebenfalls. Nur ich denke, dass »Terror« für sich genommen so viel hergibt und thematisch so ergiebig ist, dass nicht noch eine Idee daneben und darüber hinaus stehen muss. Beim ersten Lesen war ich erleichtert, obwohl man als Schauspieler sonst gern eine Art Spielraum haben möchte, mit einem Geheimnis dahinter, wo man Fantasien entwickelt. Erleichtert darüber, dass ich mich hier nur auf den Fall und sein Verhandeln konzentriere. Ich muss mir keine Gedanken machen über fremde Spielideen, Konzepte, äußere Vorgänge. Die Debatte ist gesetzt. Punkt. Sie ist das Theatrale. Das ergibt wie von selbst seinen eigenen Spielraum.
k.west: Der begrenzte Spielraum wird zur Qualität.
Treuenfels: Ja, das ist befreiend.
k.west: Ich habe an Kleists »Prinz von Homburg« denken müssen.
Heesters: Stichwort Befehlsverweigerung.
k.west: Und die hohe Subjektivität. Lars Koch nennt es seine »Innereien«. Man begibt sich in den Widerspruch von Kopf und Bauch, oder?
Heesters: Ich bleib’ beim Kopf. Dafür habe ich mich entschieden. Nebenwege zu gehen, halte ich für falsch. Ich halte es für richtig, das Recht zu vertreten. Und dafür einzutreten. Nichts anderes.
k.west: Wer spricht jetzt, die Staatsanwältin oder Nicole Heesters?
Heesters: Das sage ich, Nicole. Es gibt Rollen, die bringen ein Eigenleben mit: Weil man als Mensch einfach dasteht und so ausschaut und seine Eigenarten hat. Das reicht manchmal. Ich will die Sätze der Staatsanwältin klug und verständlich transportieren. Das wäre prinzipiell das Sinnvollste.
Treuenfels: Aber auch Lars Koch steht für ein Prinzip, in seinem Fall nicht das der Verfassung, auf dessen Boden er natürlich auch steht, sondern das Prinzip des Soldaten oder Soldatischen. Insofern bin ich auch mit dem Kopf dabei und schon vorher kritisch mit der zentralen Frage umgegangen.
Heesters: Aber das Rumoren der Innereien wird ausgelöst durch die persönliche Frage der Staatsanwältin bzw. des Richters – weil sie nachbohren.
k.west: Herr von Treuenfels, haben Sie gedient?
Treuenfels: Nein, habe ich nicht.
k.west: Nicole Heesters würde ich es am ehesten zutrauen, weil sie so …
Heesters: Wie bin ich denn nun schon wieder?
k.west: … so tapfer ist. Und zivil ungehorsam. – Alexander Kluge hat im Spiegel über »Terror« geschrieben und spricht vom Theater als »Probehandeln im Geiste«.
Heesters: So funktioniert das Stück. Als Modell. Für mich meint Kluge es in Bezug auf das Publikum – als Aufforderung zum Nachdenken.
Treuenfels: Ich habe mich durch das Stück erstmals intensiv mit der Frage befasst und finde es verblüffend, wie schnell sich die Debatte zuspitzt, in mir selbst und mit anderen. Es hat meine Sicht verändert, auf Gesetz, Pflicht, Verantwortung und auch auf den Soldaten. Ich kann mich nicht entziehen und werde zur Entscheidung gezwungen. Jedes Gespräch über »Terror« polarisiert.
k.west: Ist das Stück manipulativ, will es belehren, was will es bewirken Ihrer Meinung nach?
Heesters: Eine Standpunkt-Bestimmung. Der Autor von Schirach, der immer schreibend zeigt, dass das Gesetz seine Lücken und Tücken hat, vertritt im Stück doch auch eine Position….
Treuenfels: Ganz sicher. Er ist alles andere als neutral. Die Argumentation des Verteidigers ist im Vergleich zum Plädoyer der Staatsanwältin viel schwächer. Auch beim Schuldspruch findet von Schirach mehr als in der Begründung für einen Freispruch.
k.west: Die Staatsanwältin hat den klareren Kopf. Von Schirach will den Staatsbürger zu mündigem Denken ermuntern.
Heesters und von Treuenfels: Absolut.
k.west: Nicole Heesters, fühlen Sie sich in der Rolle der Staatsanwältin ein wenig als Ärztin, gar Seelsorgerin, die den Piloten sanft, aber bestimmt auf seinen Zustand hin bespricht?
Heesters: Nein, dieses Bild erstaunt mich. Handauflegen fände ich nicht richtig. Ich sitze brav auf meinem Stuhl: emotional engagiert, aber nicht körperlich oder taktil. Wobei ich hoffe, dass zwischen Frage und Antwort ein Mitdenken wahrgenommen wird. Wir haben uns für eine sehr luzide Art zu spielen entschieden, fast könnte man sagen, eine fantasielose.
Treuenfels: Aber man ist gegenseitig von hohem Verständnis.
k.west: Lars Koch wird sehr positiv gezeichnet. Ein aufgeräumter Charakter. Das ist eine Setzung. Man könnte ihn anders zeigen – und besetzen, weniger heldisch.
Heesters: Wir hören im Text, er komme aus einem kultivierten Haushalt, überhaupt seine gesamte, auch berufliche Biografie.
Treuenfels: Die Staatsanwältin begegnet ihm mit Respekt in ihrem Plädoyer. Nahezu mit Ehrfurcht vor seiner klaren Haltung.
Heesters: Das mit der Ehrfurcht hörtest du wohl gern, aber das sage ich nicht. Die Ernsthaftigkeit ist beeindruckend. Lars Koch ist ein Mann mit hohem Niveau.
k.west: Sie, Moritz, sind Mitte zwanzig und jung genug, um einer der beiden Kampfflieger sein zu können. Erschreckt uns nicht die Verantwortung, die ein Mensch in diesem Alter aufgebürdet bekommt?
Treuenfels: Ich hatte ja für mich auch eine Idee, was ich machen will: Schauspieler werden. Man schreibt das so groß in sich auf und bemüht sich sehr, dass es in Erfüllung geht. Beim Kampflieger ist das noch viel krasser. Der muss so sehr daran glauben und so viel dafür opfern, sich extremen Prüfungen und Belastungen stellen, Privates aufgeben etc. Und dann handelt jemand, gerade weil er so perfekt körperlich und intellektuell ausgebildet wurde, richtig – und das wird ihm zum Verhängnis. Darin dem Homburg ähnlich. Das stellt alles in Frage. Nur darauf hatte er seine Identität begründet. Und jetzt fliegt es ihm buchstäblich um die Ohren. Das ist tragisch.
k.west: Lars Koch ist der klassische Bürger in Uniform.
Treuenfels: Getrimmt auf Prinzipen und trotzdem mündig sein. Das will er vereinbaren, und zwar sehr reflektiert. Und muss es ertragen in einem durch und durch hierarchischen System.
Heesters: Einspruch, pardon. Eine moralisch richtige Entscheidung darf nicht über die Verfassung gestellt werden. Das ist das Stück! Ich insistiere.
k.west: Das Stück spielt auch mit der Sehnsucht, die eigene, problematische Entscheidung an eine höhere Instanz delegieren zu wollen.
Heesters: Ist das nicht Teil unseres Lebens? Den subjektiven Faktor zu objektivieren.
Treuenfels: Ja, diese entlastende Sehnsucht verstehe ich. Aber sich dieser Instanz zu überlassen, stelle ich mir schwer vor. Daran würde ich scheitern. Zu funktionieren im Sinne der Instanz –
k.west: … selbst wenn es eine gute Instanz ist, wie die Verfassung, eine bessere als das Militär …
Treuenfels: – damit hätte ich ein Problem. Habe ich ja schon als Schauspieler im System Theater.
Heesters: Im Theater hat man im Lauf der Vorstellungen, selbst wenn eine Aufführung unter Zwang und negativen Bedingungen zu Stande kam, die Freiheit, sich zu entwickeln und das, was falsch war, zu ändern und zu korrigieren. Das ist wunderbar. Das ist im Freisprechen unser ›Freispruch‹.