»Ach, sagen Sie doch nicht immer Layout, wenn Sie Satzspiegel meinen«, seufzte einst ein Lokalchef der WAZ und rührte missmutig in seinem Leimtopf – vor 20 Jahren wurden Zeitungsseiten noch auf Papierbögen entworfen und gelegentlich neu zusammengeklebt. Was hätte der brave Mann heute zu leiden: Seine WAZ und ihre Schwesterblätter im Ruhrgebiet werden umgebaut im Zeichen von »Content Desk«, »Regio-Desk« und »Branding«. Das soll mehr »Qualitätsjournalismus« bedeuten, aber nicht nur die Newspeak macht skeptisch. Denn mehr Qualität soll mit viel weniger Journalisten erbracht werden – 330 von 900 müssen gehen, darunter über 200 Lokalredakteure. »Ein Mann – eine Seite« heißt eine der neuen Produktivitätsdevisen, »eine Stadt – eine Lokalredaktion« die andere: Die Wahl zwischen verschiedenen Zeitungen ist im Kulturruhrhauptgebiet endgültig passé.
Unter den Nachkriegs-Lizenzblättern war die Essener Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) eine Goldgrube. Ihr populärer und politisch betulicher Generalanzeiger-Stil zog viel intellektuellen (oft ungerechten) Spott auf sich, verkaufte sich aber besser als die konkurrierenden parteinahen Blätter. Früh ging das auf Kosten publizistischer Vielfalt – kleine Zeitungen wurden aufgekauft und überlebten bestenfalls als Fraktur-Titel über den mächtigen Buchstaben »WAZ«. 1975/76 übernahm die WAZ dann die siechen SPD-nahen Blätter Neue Ruhr/Rhein Zeitung (NRZ, westliches Ruhrgebiet, Niederrhein) und Westfälische Rundschau (WR, Dortmund, Westfalen) sowie die konservative Westfalenpost (WP, Westfalen, Sauerland).
Das neue Monopol erregte heftiges Missfallen. Andererseits durften die übernommenen Blätter unterm Dach der WAZ immerhin fortexistieren. Anzeigen und Vertrieb waren zwar eins, doch die Redaktionen der vier Zeitungen blieben journalistisch unabhängig. Auch in vielen Städten gab es zwei Lokalredaktionen des Verlages, die im besten Fall täglich um die besten Geschichten wetteiferten und politisch unterschiedliche Akzente setzten. Aus diesem Grund fanden sich schließlich auch Kritiker mit dem »WAZ-Modell« ab, das den beiden Gründerfamilien Brost und Funke viel Geld eintrug und Basis wurde für den international agierenden, hochprofitablen Medienkonzern »WAZ-Gruppe«.
Die Krise kam nicht über Nacht. Auflagenrückgang machte sich schon vor 15 Jahren bemerkbar, auch beim Flaggschiff WAZ. Jammerte man anfangs noch »auf hohem Niveau«, kursierten vor einem Jahr Gerüchte, dass die ohnedies sparsame WAZ-Gruppe ganz andere Saiten aufziehen und die mittlerweile verlustbringenden kleineren Titel einstellen könnte. Was die Geschäftsleitung seit Ende 2008 dann verkündete, bleibt kaum hinter solchen Befürchtungen zurück. Nominell werden zwar alle vier Titel erhalten. Aber faktisch ist das »WAZ-Modell« tot. Der Dortmunder Medienwissenschaftler Horst Röper nennt das Geplante den »größten Konzentrationsfall« in der Zeitungsgeschichte des Landes, »das ist ambach!«
Denn nur die WP bleibt als »Heimatzeitung« eigenständig. WAZ, WR und NRZ werden Inhalte für ihre Mantelseiten von einem gemeinsamen »Content Desk« beziehen. Die Zahl der Desk-Redakteure – über 80 – könne sich sehen lassen, räumt Röper ein, und Qualität erwarten lassen. Dass aber die drei Blätter sich noch sehr unterscheiden werden, glaubt er nicht. Dagegen spreche schon die geringe Zahl der bei den Einzeltiteln verbleibenden Redakteure.
Der größte journalistische Aderlass spielt sich allerdings in den Lokalredaktionen ab. Die Tendenz hat sich unter dem (seit 2005) neuen WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz schon länger abgezeichnet. Auch wer dem im eigenen Haus umstrittenen Reitz wohl will, sagt ihm kein besonderes Interesse am Lokaljournalismus nach. So entschied er, dass 2007 sieben Redaktionen im Kreis Recklinghausen geschlossen wurden. Nun finden WAZ- Leser in Recklinghausen, einer Stadt von 120.000 Einwohnern, nur mehr einen Regionalteil vor, dessen Aufmacher durchaus mal von Müllproblemen in Oer-Erkenschwick handeln kann. Kaum überraschende Folge: drastische Auflageneinbußen. Da Ruhr-Nachrichten und Recklinghäuser Zeitung als einzige Konkurrenten zur gleichen Zeit ihre Lokalausgaben in Gelsenkirchen, Gladbeck und Bottrop einstellten – Absprachen wurden heftig bestritten –, war schon 2007 ein übles Jahr für die lokale Pressevielfalt im Ruhrgebiet.
Im selben Jahr machte Reitz auch der WAZ-Redaktion Dortmund den Garaus. Drei Redakteure blieben und sind nur noch damit beschäftigt, die lokale WR-Ausgabe als Pseudo-WAZ zu modifizieren. In der Praxis passiert wenig mehr, als dass Artikel auf den ersten drei Lokalseiten anders arrangiert werden. Der Rest ist ohnehin identisch. »Branding« heißt das; die Journalistengewerkschaften sagen »Mogelpackung«. Medienexperte Röper vermutet darin nur eine »Zwischenstufe«, um Leser bei der Stange zu halten. Wie »aufgesetzt« das Konzept sei, könne man jeden Montag sehen: Da seien WAZ und WR komplett identisch, weil die WAZ-Miniredaktion sonntags nicht besetzt ist.
Genau dieses Branding soll nun die Zukunft sein für Städte wie Duisburg, Oberhausen, Mülheim und Essen. Die jeweils größere Redaktion übernimmt, eine Rumpfmannschaft der kleineren darf »branden«. Obendrein, sagen die Betriebsräte, hätten die vom Verlag beauftragten Unternehmensberater – Sparziel: 32 Millionen Euro pro Jahr – völlig unrealistische Personalschlüssel entwickelt, so dass in der Praxis ein Redakteur oft noch viel mehr als eine Lokalseite pro Tag produzieren müsse. Sie weisen darauf hin, dass im Sauerland ganze Redaktionen geschlossen würden, so dass WR-Leser bald WP-Lokalteile bekommen und umgekehrt, soweit das Feld nicht ganz der Konkurrenz überlassen wird.
Die Geschäftsleitung, zu der seit einiger Zeit auch WAZ-Chef Reitz zählt, spricht unbeirrt von »mehr Qualitätsjournalismus«. Gern verweist Reitz dabei auf »Regio-Desks«, die den Lokalredakteuren künftig die Seitengestaltung abnähmen sowie die Produktion kleiner Meldungen. Die verbliebenen Kollegen im Ort hätten dann mehr Zeit für Recherche, Reportage und Kommentar. Allerdings werden die Regio-Desks weitgehend mit Journalisten aus den Lokalredaktionen besetzt. Und warum die Routinearbeit erleichtert werden soll, wenn die Journalisten kilometerweit vom Schuss sitzen und die betreffende Stadt womöglich nicht mal kennen, bleibt offen. Im Internet kursiert ein Protestschreiben der WAZ-Lokalredakteure, in dem sie das Gegenteil befürchten: Friktionen, Mehrarbeit und Qualitätseinbußen. Solche Umstrukturierung zu Lasten des Lokalen, so klagen die Redaktionsleiter, gefährde die Kernkompetenz der WAZ-Gruppe und werde auf Dauer Abonnenten verschrecken.
Dass ihre Zeitungen seit Ende 2008 erheblich dünner geworden sind, haben die Leser wohl bemerkt. Wie ihnen Qualitätsjournalismus der geschilderten Art gefällt, ob sie ihre gebrandeten Zeitungen noch erkennen und akzeptieren, das wird sich allmählich herausstellen. Möglich, dass sie eitle Blattmacher am neuen Content Desk schmerzhaft daran erinnern, dass Blätter wie die WAZ hauptsächlich wegen der Lokalteile gekauft werden.
Politiker registrieren die Absichten der WAZ-Gruppe schon jetzt mit Unbehagen. Parteien, Fraktionen, Verbände, Landräte haben gegen die Schnitte im Lokalen protestiert. Ob sich der Verlag davon beirren lässt? Beobachter Röper ist skeptisch: Da stehe nur mehr »Rendite« im Vordergrund. Und die Leser von WAZ, NRZ, WR und WP erführen natürlich nichts von derartigen Protesten. Zum Beispiel, als der Mülheimer Stadtrat eine Resolution gegen das drohende »Meinungsmonopol« verabschiedete: »WAZ und NRZ Mülheim haben über die Ratssitzung berichtet«, so Röper, »aber die Resolution haben beide nicht erwähnt.« Dafür erfuhren die Leser wenig später, dass die WAZ-Gruppe ihre nach wie vor wohlgefüllte Kriegskasse nun auch für Akquisitionen in Indochina einsetzen will. So ein Vietnam-Erlebnis ist natürlich viel aufregender als eine Lokalredaktion in Oer-Erkenschwick.
Schon immer war die Vielfalt der Zeitungen im Ruhrgebiet regional sorgsam ausgewogen, wie das Foto zeigt. Der Band »Die Bude. Trinkhallen im Ruhrgebiet« versammelt Fotografien von Brigitte Kraemer und erscheint im Klartext Verlag zum Preis von 24,95 Euro.