Der Meininger »Ring« gehört zu den Theaterlegenden, die man sich in dürren Zeiten gern wieder und wieder erzählt. Intendantin Christine Mielitz hatte es vor vier Jahren geschafft, in der südthüringischen Provinz Wagners Tetralogie zu stemmen. Publikum und Feuilleton strömten, ein Signal gegen Theatertod und für mutige Spielplanung schien gesetzt, Mielitz als Intendantin und Regisseurin in Personalunion wurde zur Hoffnungsträgerin. Als solche umwarb sie die Stadt Dortmund, wo sie als Operndirektorin das zuletzt glanzlose Haus aus der zweiten Reihe holen soll. Nun wächst auch hier ein neuer »Ring« heran, der mit der »Walküre« bereits die Halbzeit erreicht hat, auch wenn dies bislang überregional wenig beachtet wurde. Nach zwei Abenden ist noch nicht klar, wohin dieser »Ring« rollen will. Das mag am unfreiwilligen Bruch zwischen dem Regiekonzept und der musikalischen Leitung liegen. Denn während Mielitz’ inszenatorische Hand ständig Verweise einbaut und Motivstrukturen heraus präpariert, um die Abende zu verklammern, tritt Arthur Fagen am Orchesterpult so stur auf die Spannungs-Bremse, dass es arg bröselt und staubt. Der Dirigent schafft es, dass Wagner in kleine, stumpfe Teilchen zerfällt und das Thermometer nie über Zimmertemperatur steigt. Womöglich hatte er vor, Wagner kammermusikalisch zu läutern, tatsächlich dreht er ihm den Saft ab.
Auf der Bühne herrscht in »Rheingold« wie »Walküre« eine strenge Farbenlehre: Schwarz und Weiß stehen nicht nur für oben und unten von Göttern und Menschen, sondern für Ambivalenz und Instabilität einer Welt aus der Balance. Auf der Drehbühne ist ein mit sich kreuzenden Treppen bestückter Aufbau unablässig in Bewegung (Bühne Stefan Mayer) und zeigt abwechselnd seine schwarze oder weiße Seite. An den Seiten rotieren massive Drehtüren, vom Schnürboden fallen lange Seidenschals, die Technik ächzt, leider allzu hörbar und schon mal knapp daneben. Eine zweite Farbsymbolik bringt Schwarz-Rot- Gold ins Spiel: Derart gewandet sind die drei Rheintöchter, die Mielitz auch in der »Walküre« wieder auftreten lässt. Es soll also eine deutsche Geschichte erzählt werden, auch wenn ein großer Gaze-Vorhang die Straßenschluchten eines internationalen Finanzzentrums abbildet. Die Limousinen-Reste im Szenenbild sind freilich unschwer als Wrack des Herrhausen-Anschlags der RAF zu entschlüsseln. Die politischen Bezüge vom Barrikaden-Revolutionär Wagner zur Spätzeit der »Rote Armee Fraktion« wollen brisant sein, neutralisieren sich aber im sicheren historischen Abstand. Ob aus Brünnhilde im weiteren Verlauf doch noch eine Ulrike Meinhof wird, bleibt abzuwarten.
Einstweilen jagt Milena Butaeva in dieser Partie mit roter Mähne in schwarzer Kluft und Springerstiefeln aufgescheucht über die Bühne. Gleichwohl, sie wirkt jung und unverbraucht und verfügt zudem über immense stimmliche Durchschlagskraft. Ihren Widerstand gegen Wotan bezieht sie vor allem aus gerechter Wut über dessen rohe patriarchale Gewalt. Wotan schlägt Frau und Töchter und gibt sexuell ein brutales Alphatier. Mielitz misstraut der Version vom nachdenklichen Wotan mit edlen Seiten, sondern lässt Phillip Joll ein schnaubendes Untier (mit etwas ungenauer Stimmgebung) hinwuchten. Gattin Fricka zeigt Annette Seiltgen als verhärmte Alte, deren klirrendes Gekeife durch Mark und Bein geht.
Das Geschwisterpaar Siegmund (Edward Randall) und Sieglinde (Kirsten Blanck) singt und spielt erfreulich differenziert. Leider liegen sie sich bei dieser Deutung im ersten Akt viel zu früh in den Armen, so dass sich der Rest der von Fagen verschleppten Liebesstürme arg hinzieht. Hunding (Vidar Gunnarsson) schaut Wotan verdächtig ähnlich, trägt zudem den gleichen roten Speer.
Zwar ist die Personenführung insgesamt gekonnt und solide, allein, zu einer großen Idee will sich dieser »Ring« einstweilen nicht runden. Weniger könnte mehr sein, denn das nervende Technik-Gewitter drängt den Verdacht auf, damit Leerläufe kaschieren zu müssen. REM