TEXT STEFANIE STADEL
Jasmin Hartmann kommt gerade aus dem Wallraf-Richartz-Museum, von ihrer letzten Amtshandlung sozusagen. Bis vor kurzem hat sie die Graphische Sammlung in dem Kölner Haus nach Raubkunst durchforstet. Alle Zeichnungen, Aquarelle und Druckgrafiken, die zwischen 1933 und 1945 hierher gekommen waren, wurden auf ihre Herkunft hin untersucht – Blatt für Blatt, um die 2500 Stück. Am Ende der akribischen, fast drei Jahre währenden Ermittlungen konnte Hartmann ein einziges Werk als »verfolgungsbedingt entzogen« entlarven. Just an diesem Tag hat sie Adolf Menzels kleine Zeichnung »Blick über die Dächer von Schandau« im Museum den rechtmäßigen Besitzern zurückgeben können.
Eine stille Übergabe sei es gewesen, ohne Gäste, ohne Presse, so Hartmann, die überhaupt nicht unzufrieden scheint mit den Ergebnissen ihrer Arbeit. Man dürfe nicht nur auf die Zahl der restituierten Stücke schauen. Ebenso sei es bei ihrem Job in Köln um die Aufarbeitung der Museumsgeschichte gegangen, sie habe Grundlagen für weitere Forschungen legen können. Und nicht zuletzt zähle auch das gute Gefühl. Immerhin kann das Museum sich fortan sicher sein, dass 600 der Blätter völlig unverdächtig sind, dank Hartmann.
Die junge Wissenschaftlerin gehört zu den wenigen Spezialisten, die sich der Herkunftsforschung von Kulturgut verschrieben haben. Immer größer wird ihr Kreis – und wichtiger. Die Raubkunst-Experten machen spätestens seit dem spektakulären Fund der Sammlung Gurlitt von sich reden. Hatte der weltweit beachtete »Schwabinger Kunstfund« vor fünf Jahren doch eine heftige Debatte über den Umgang mit von den Nationalsozialisten entwendeten Kunstwerken angefeuert. Im Gespräch ist die
Provenienzforschung schon viel länger – vor allem aufgrund der Washingtoner Prinzipien. Die 44 Unterzeichnerstaaten hatten sich bereits 1998 verpflichtet, endlich aktiv zu werden. In Museen und Instituten wollen sie während der NS-Zeit beschlagnahmte Stücke ausfindig machen, die rechtmäßigen Eigentümer suchen und faire Lösungen finden, so die Übereinkunft.
Das alles funktioniert nicht so nebenbei, am Rande des Tagesgeschäfts mit dem vorhandenen Personal. Es braucht gut ausgebildete Experten wie Hartmann, deren Arbeit auch finanziert werden muss. Weil vor allem kleineren Häusern oft Ressourcen fehlen, waren die vereinbarten Recherchen zunächst ziemlich schleppend angelaufen. In jüngerer Zeit jedoch gewinnen sie an Fahrt. Nicht zuletzt dank Gurlitt: Bestärkt durch den spektakulären Fall, sind die Bundesmittel für Herkunftsforschung und die Rückgabe von Nazi-Raubkunst vervierfacht worden – von zwei auf acht Millionen Euro jährlich.
Doch wie wird das Geld angelegt, und was konkret unternimmt etwa NRW in dieser Sache? Das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport verweist hier gern auf das »Deutsche Zentrum Kulturgutverluste« in Magdeburg; es wird anteilig vom Bund, von den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden finanziert und verteilt in großem Rahmen Geld für die Provenienzforschung. 2016 waren es immerhin 3,9 Millionen Euro.
Nordrhein-Westfalen hat seit Beginn der Förderung im Jahr 2008 über dreißig Projekte auf den Weg gebracht und liegt damit hinter Berlin im Länder-Ranking. Kamen die Bewerbungen um Zuschüsse zunächst vor allem aus den Zentren Köln und Düsseldorf, so zeigen inzwischen auch weniger prominente NRW-Städte und kleinere Institute Engagement und reichen Anträge in Magdeburg ein.
Gelsenkirchen beispielsweise nimmt sich im kommenden Jahr die Tätigkeit der Galerien von Hermann und Aenne Abels vor und sucht auf dieser Basis nach Raubkunst in Museen der Region. In Dortmund überprüft das Museum für Kunst und Kulturgeschichte Skulpturen und Gemälde, die zwischen 1934 und 1966 ans Haus kamen, als die Sammlung mit Werken aus Mittelalter, Barock und Romantik kräftig aufgestockt wurde. In der Abtei Brauweiler in Pulheim wird seit einigen Monaten Grundlagenforschung betrieben: Die »Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V.« kümmern sich um die wissenschaftliche Erschließung des bedeutenden Nachlasses von Franziskus Graf Wolff Metternich, der den militärischen Kunstschutz des NS-Staates leitete. Ab Sommer 2018 sollen die überlieferten Dokumente ohne Einschränkung für die Forschung nutzbar sein.
Vom Geld aus Magdeburg profitieren kann ebenfalls das Leopold-Hoesch-Museum in Düren, wo Kai Artinger sich an die Recherche-Arbeit gemacht hat. Zwar ist er noch nicht fertig mit den gut 2000 Grafiken, die auf dem Prüfstand stehen. Doch schon das Halbzeit-Ergebnis sorgte für Aufsehen: 177 Raubkunst-Werke hat Artinger im Dürener Bestand entdeckt. Darunter Blätter von Größen wie Adolph Menzel und Honoré Daumier.
Artinger und die Kollegen betreten oft unbeackertes Territorium. Viele Institute, so der Wissenschaftler, hätten einen Bogen um die eigene Geschichte im »Dritten Reich« gemacht, vielleicht aus Angst vor unangenehmen Enthüllungen. Erst seit rund zehn Jahren rücke die düstere Ära in den Blick, so Artinger, der in seiner Freizeit Detektivgeschichten schreibt. Auch ihm geht es offenbar weniger um Zahlen, als mehr um die Geschichte des Leopold-Hoesch-Museums, die zur NS-Zeit eng verwoben war mit jener des Wallraf-Richartz-Museums. Das alles ist auch Gegenstand einer gelungenen Ausstellung, die Köln und Düren im Leopold-Hoesch-Museum gemeinsam erarbeitet haben, eine der bisher größten überhaupt zu diesem Thema.
In der Lehre regt sich ebenfalls etwas. Auf Initiative der Krupp-Stiftung wird an der Universität Bonn der bundesweit erste Lehrstuhl zur Provenienzforschung eingerichtet und ein zweiter an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, der sich mit Fragen des Kunst- und Kulturgutschutzrechts befassen wird. Die Berufungsverfahren laufen.
Das hört sich alles gut an. Doch müsste der Job des Provenienzforschers wohl noch etwas attraktiver werden. Zur Zeit arbeiten die Wissenschaftler vor allem in zeitlich befristeten Projekten, wie sie das Zentrum Kulturgutverluste fördert. Geht eine Anstellung zu Ende, müssen sie beim nächsten Projekt anheuern. Kai Artinger verschlug es aus Chemnitz nach Düren. Jasmin Hartmann hat es da besser. Die 32-Jährige wechselte kürzlich aus dem Wallraf-Richartz-Museum ohne Umweg nach Düsseldorf, wo sie die erste dauerhafte Stelle für Provenienzforschung in der Landeshauptstadt besetzt. Sie kümmert sich um alle
städtischen Institute. Eine vergleichbare Position gibt es in NRW nur noch bei der Stadt Köln.
Ein entscheidender Mangel, wie sie betont. Feste Stellen seien extrem wichtig, denn immer, wenn der Provenienzforscher nach einem Projekt das Haus verlasse, verschwinde mit ihm wertvolles Wissen. Nicht selten müssten die Kollegen beim nächsten Projekt wieder von vorne anfangen.
LEOPOLD-HOESCH-MUSEUM, DÜREN, »UNSERE WERTE? PROVENIENZFOSCHUNG IM DIALOG: LEOPOLD-HOESCH-MUSEUM UND WALLRAF-RICHARTZ-MUSEUM«, BIS 19. MÄRZ 2017, TEL.: 02421/250